Christlich 09.04.2023

Zwei Männer in der Nacht: Jesus und Nikodemus

Der eine hat eine Position, er ist Ratsherr seiner Stadt, Schriftgelehrter, Theologe. Der Text spricht von einem Menschen (Anthropos) namens Nikodemus.

Von Ingrid Grave Dominikanerin in Ilanz
aktualisiert am 09.04.2023

Und es ist ziemlich eindeutig, dass es der aufrichtige, echte Mensch ist, der hier das Gespräch sucht. Sein Gegenüber: Der Zimmermannssohn und Wanderprediger Jesus. (Joh 3,1) Nikodemus kennt ihn vom Hörensagen. Das genügt ihm nicht. Er will sich einen persönlichen Eindruck verschaffen.

Dafür sucht er Jesus in der Nacht auf. Aus Vorsicht. Einem Mann seines Standes könnte es Unannehmlichkeiten eintragen, mit diesem umstrittenen Wanderprediger Kontakt zu haben.

Es kommt zu einem intensiven Gespräch, in dem Nikodemus die Fragen stellt, keine rhetorischen oder verfänglichen Fragen. Er hört zu, stellt Rückfragen:

Was heisst es, als Mensch aus Gottes Geist wiedergeboren zu werden?

Wir stehen vor dem Osterfest, das uns, sofern wir ernsthaft darüber nachdenken, vor so manche Frage stellt. Wer war dieser Jesus, der am Anfang unserer Zeitrechnung steht, auf den sich christliche Kirchen in ihrer Lehre berufen, für den im Laufe von 2000 Jahren Menschen durchs Feuer gingen und nicht selten dabei ihr Leben verloren haben? Diese Fragen stellt Nikodemus nicht, und er kann sie auch nicht stellen.

Ihn bewegen die Aussagen Jesu auf religiöser wie auf politischer Ebene. Wie soll er, als Angehöriger des Rates, sich verhalten? Der lebendige Mensch, aus Gott geboren, geschaffen – wie kann er aus Gott neu geboren, gestaltet werden? Der politisch engagierte und religiös suchende Nikodemus scheint tief bewegt zu sein. Die beiden Männer trennen sich und sind sich auch wohl nicht mehr begegnet. Es kommt zur Anklage:

Jesus, ein Prophet? Der Messias? Ein politisch gefährlicher Verführer des Volkes?

In Abwesenheit Jesu wird im Rat verhandelt und gestritten, was mit diesem Wanderprediger zu geschehen ist. Nikodemus weist darauf hin, dass gemäss Gesetz ein Mensch zuerst angehört werden muss, bevor man ihn verurteilt. Der Einspruch wird mit Verächtlichkeit von der Hand gewiesen (Joh 7, 50-52).

Nikodemus hat die Hinrichtung Jesu nicht verhindern können. Doch für die Beisetzung des Leichnams trug er im Verborgenen eine beträchtliche Mischung von Myrrhe und Aloe herbei (Joh 19,39).

Und die Berichte von der Auferstehung? Sie werden diesen echten Menschen nicht weniger beschäftigt haben als uns, soweit wir Suchende sind.