Region 14.07.2022

Loher, Baumgartner oder Sieber - auf  diese Namen hört das Rheintal

Ob Hutter in Diepoldsau, Ibrahimi in Rheineck oder Steiger in Altstätten: Jedes Dorf besitzt seine ortstypischen Nachnamen.

Von Sara Burkhard
aktualisiert am 04.11.2022

Grüezi, Herr und Frau Frei! Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie sich angesprochen fühlen, könnte in der Region bei keinem anderen Namen höher sein. Frei  führt im Einzugsgebiet des «Rheintalers» und der «Rheintalischen Volkszeitung» die Liste der häufigsten Namen an, und das mit Abstand: Gemäss Angaben der Schweizerischen Post hörten 2021 im ausgewählten Postleitzahlbereich 947 Menschen auf diesen Namen. Ihm folgen Sieber mit 670, Hutter mit 558 und Lüchinger mit 401 Menschen – allesamt Namen, die wir auch dem Gefühl nach als typisch rheintalisch bezeichnen würden.

Ibrahimi stösst Keller vom Podest

Aufschluss darüber, welche Namen der heutigen Hitlisten seit Jahrhunderten in der Region verbreitet sind, gibt das Familiennamenbuch der Schweiz. Am Beispiel Frei zeigt sich: Der Name ist in der ganzen Deutschschweiz verbreitet, innerhalb des Kantons St. Gallen neben dem Toggenburg auch im Rheintal. In Au, Berneck, Rüthi, Diepoldsau-Schmitter und Widnau war der Name schon vor 1800 verbürgert – und tatsächlich sind die Freis in den genannten Ortschaften respektive Gemeinden noch heute besonders häufig anzutreffen, Rüthi ausgenommen.

Verschwinden dürfte der Name auch in den nächsten Jahrhunderten nicht, schätzt Wolf Seelentag, Familienforscher und Vizepräsident der Genealogisch-Heraldischen Gesellschaft Ostschweiz: «Wo ein Name seit Jahrhunderten verbürgert ist, kann man wohl davon ausgehen, dass dieser in den Bürgergemeinden auch weiterhin vorkommen wird. Dabei ist natürlich zu berücksichtigen, dass immer mehr Leute eben nicht im Bürgerort wohnen. Auch die Zuwanderung fremder Namen wird sicher dazu führen, dass die relative Häufigkeit abnimmt.»

Die Erklärung des Familienforschers bewahrheitet sich in einigen Gemeinden: So hat in Rheineck der Name Ibrahimi (47) den Namen Keller (37) vom Podest gestossen, in Staad ist Bequiraj (33) knapp häufiger als Tobler (30). Auch in St. Margrethen sind ausländische Namen wie Tiric (46), Samardizic oder Badalli (37) in den Top 5 vertreten; den mit Abstand häufigsten St. Margrether Namen, Künzler (94), vermochten sie bisher aber nicht zu übertrumpfen. Familienforscher Wolf Seelentag erklärt die Häufung gewisser Namen aus dem Ausland wie folgt: «Es war durchaus üblich, dass sich Familienverbände oder auch mehrere Familien aus einem Ursprungsort nach einer Auswanderung oft in der gleichen Region oder sogar in derselben Gemeinde niederliessen.»

Solche «Nester» fänden sich nicht nur hier, sondern auch unter den in die USA ausge­wanderten Schweizerinnen und Schweizern – zum Beispiel in  New Glarus, Wisconsin.Mit Blick auf die Ortschaften der Region fällt auf: Gerade in Nachbargemeinden sind die selben Namen oft ähnlich stark verbreitet, etwa Künzler in St. Margrethen und Walzenhausen, Spirig in Diepoldsau und Widnau, Hutter in Diepoldsau und Kriessern. Gemäss Seelentag sei die Gegebenheit auf die relativ jungen Gemeindestrukturen zurückzuführen. Der Reichshof Kriessern beispielsweise war früher eine Verwaltungseinheit, die weit über die heutigen Grenzen hi­nausging – «da waren familiäre Zusammenhänge also keine Besonderheit». Ähnliches gelte vermutlich auch für andere Bereiche des Rheintals. Im histo­rischen Lexikon der Schweiz heisst es: «Im Mittelalter gehörte die Region zu verschiedenen Rechtseinheiten, so zum Hof Höchst, zur Vogtei Rheineck, zu den Reichshöfen Lustenau und Kriessern, zum Hof  Rüthi sowie zur Vogtei Rheintal, die ungefähr das Gebiet der späteren Gemeinden Berneck, Balgach, Rebstein, Marbach und Altstätten umfasste.» 

Steiger oder Stieger: Die Schreibweise ist Zufall

In zwei Rheintaler Gemeinden ist der gleiche Name an der Spitze, allerdings in unterschiedlicher Schreibweise: Stiegers dominieren in Oberriet, Steigers in Altstätten. Die unterschiedliche Schreibweise habe sich erst nach der Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelt, weiss Seelentag: «Vorher hat der Pfarrer den Namen so geschrieben, wie er es für richtig hielt, etwa Styger. Stieger beziehungsweise Steiger haben sich daraus entwickelt – in verschiedenen Gemeinden halt unterschiedlich.» Fixe Namensschreibweisen fanden erst 1879 Einzug, nach der Einführung der neuen Zivilstandsregister.        

Beim Namen Frei hat sich in der Region nur eine Schreibweise durchgesetzt. Er geht zurück auf das mittelhochdeutsche vrî, das sich auf frühere Namens­träger beziehen dürfte, die im Hochmittelalter freie, nicht leibeigene Bauern waren. Frei könnte sich gemäss Experten des Schweizerdeutschen Wörterbuchs Idiotikon aber auch auf eine sorglose Lebensart beziehen – also auf einstige Namensträger, die eine unbekümmerte Wesensart auszeichnete.