23.12.2021

Hospiz-Dienst auch an Weihnachten bereit

In den Stunden des Sterbens steht der Hospiz-Dienst Rheintal schwer kranken Menschen bei. Falls nötig auch in der Heiligen Nacht.

Von Monika von der Linden
aktualisiert am 02.11.2022
Heiligabend. Das Fest des Friedens und der Familie beginnt in wenigen Stunden. Heute tragen wohl die meisten Menschen mehr Wünsche in sich als an anderen Tagen. Die Sehnsucht danach, sich geborgen zu fühlen, sich mitzuteilen, zu schenken, zu empfangen oder alleine für sich zu sein, dürfte besonders stark ausgeprägt sein. Häufig erfüllt sich diese Sehnsucht: Familien und Vertraute treffen sich, beschenken einander, speisen zusammen, besinnen sich auf ihre Gemeinsamkeiten und reduzieren ihre alltäglich zu erfüllenden Aufgaben.Nicht alle Sorgen und Nöte legen an Weihnachten eine Pause ein. Neigt sich die Kraft eines Menschen dem Ende zu, scheint das nicht zu Weihnachten zu passen. Angehörige fragen sich, ob sie an den Festtagen Hilfe von aussen in Anspruch nehmen dürfen.«Sterbende sind auch an Weihnachten nicht allein», sagt Erika Ulmann. Sie ist die Stellenleiterin des Hospiz-Dienstes Rheintal mit Sitz in Altstätten.Stunden- und nächteweise am KrankenbettEin Hospiz im Sinne eines Gebäudes gibt es im Rheintal nicht. Der ambulante Dienst ist als Verein organisiert. Freiwillige leisten temporär Einsätze. Sie begleiten sterbende Männer und Frauen stunden- oder nächteweise, besuchen sie am Krankenbett im Spital oder in ihrem Zuhause.Der Hospiz-Dienst leistet an Weihnachten eher selten Einsätze. «Angehörige haben mehr Zeit und Musse als sonst, sich um ein sterbendes Familienmitglied zu kümmern», sagt Erika Ulmann. Immer wieder beobachtet sie, dass schwerkranke Menschen noch vor Weihnachten sterben. «Ich glaube, sie finden im Advent den Frieden, den sie brauchen, um gehen zu können.» Das Gedenken an den Todestag sei folglich nicht mit Weihnachten verknüpft.Der Moment ist wichtiger als das WeltgeschehenIn den Wochen vor Weihnachten spüren die Begleiterinnen und Begleiter, dass die meisten Angehörigen bereit sind, sich dem Sterbeprozess eines nahe stehendem Menschen zu stellen. «Der Moment ist wichtig, nicht das, was sonst auf der Welt passiert. Sie möchten Frieden schliessen und einen geliebten Menschen gehen lassen.»Häufig fragen Angehörige, ob der Hospiz-Dienst über die Weihnachtstage Einsätze leistet. «Ja», sagt Erika Ulmann. Vorausgesetzt, sie finde Freiwillige. Meist erfahren schwer kranke Menschen solch einen grossen Rückhalt, dass ein Besuch schliesslich doch nicht nötig wird. Das Wissen darum, dass er möglich wäre, wirkt beruhigend. Das Telefon schaltet Erika Ulmann gewiss auf Bereitschaft. «Ich bin überzeugt, wir finden auch am 24. Dezember eine Lösung, falls jemand alleine und in Not ist.»Als Beispiel erzählt die Stellenleiterin von einem schwerkranken Mann. Er lebte in einem Pflegeheim und hatte keine Angehörigen. Zwei Begleiterinnen wechselten sich über die Weihnachtstage ab. Sie besuchten den Bewohner mehrmals, sprachen und schwiegen miteinander, schenkten ihm Zeit und Zuwendung. «Der kranke Mann schätzte es sehr, nicht allein sein zu müssen und wurde ruhig», sagt Erika Ulmann. Er erlebte Weihnachten ein letztes Mal und schlief im Laufe des Januars friedlich ein.Einen solchen Einsatz betrachtet Erika Ulmann auch aus der Perspektive der Begleiterinnen und Begleiter. Selbstverständlich haben sie das Recht, sich an den Festtagen zurückzunehmen. «Ich möchte sie aber davor schützen, einen Sterbeprozess unter Umständen nicht bis zum Ende begleiten zu können.» Das könne wichtig sein, auch um mögliche Schuldgefühle zu vermeiden. Die Freiwilligen entscheiden selbst, ob sie bereit sind oder nicht.«Ich empfinde es als eine Ehre, bei einem sterbenden Menschen zu sitzen, mit ihm zu reden, zu schweigen und nachts die Stille auszuhalten», sagt Erika Ulmann. Allein durch ihr Da-Sein, so ihre Erfahrung, beruhigten sich Sterbende. «Aushalten und nichts zu tun ist die hohe Kunst des Begleitens.»Kraft, um ihren Dienst leisten zu können, finden die Begleiterinnen und Begleiter im Austausch untereinander. Ein von ihnen geschätzter Anlass ist die Besinnungsfeier im Advent. Bei Musik und Kerzenschein nehmen die Gruppenmitglieder des Hospiz-Dienstes Rheintal kollektiv Abschied von all jenen Menschen, die sie im zurückliegenden Jahr in den Tod begleitet haben oder in deren Sterbeprozess sie ein Anker waren. «Miteinander für diese Erfahrungen zu danken, stärkt unseren Zusammenhalt und schenkt uns ein Wir-Gefühl.»Weihnachten ist ein Geburtsfest. «Es ist ein schöner Gedanke, es so anzusehen, dass ein sterbender Mensch in dem Wissen darum leichter gehen kann», sagt Erika Ulmann. Sie könne sich vorstellen, dass die Bereitschaft, der neuen Generation Platz zu machen, Einfluss darauf nehmen kann, loszulassen und sich nicht länger gegen das Sterben zu wehren.HinweisDie Geschäftsstelle des Hospiz-Dienstes Rheintal in Altstätten ist erreichbar unter Telefon 071 755 09 09. www.hospiz-rheintal.ch