30.03.2021

Die Klarheit kommt viel zu spät

MEINUNG - Ein offenes Altstätter Museumsareal mit weniger (statt mehr) Umgebungsmauer? Ortsbildschützern und Denkmalpflegern ist diese Vorstellung ein Gräuel. Aus ihrer Sicht ist sie ein fehlgeleiteter Wunsch, für den sie kein Verständnis haben.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Weniger Umgebungsmauer widerspräche ihrer Leidenschaft für frühere Erscheinungsbilder. Beseelt vom Verlangen nach Rekonstruktion (vielleicht sogar baulicher Wiedergutmachung?), verbitten sie sich eine zeitgemässe Sicht denkmalpflegerisch ungebildeter Laien.Ein unbeschwerter, frei von historischem Ballast aufs Museumsareal gerichteter Blick ist unerwünscht. Die Wiederherstellungsmanie gebietet es Ortsbildschützern und Denkmalpflegern, die Gelegenheit des Museumsumbaus für einen grossen baulichen Schritt in die tiefe Vergangenheit zu nutzen.Ob die Altstätterinnen und Altstätter das mehrheitlich wollen, ist nicht bekannt. Es ist aus denkmalpflegerischer Sicht auch nicht von Interesse. Die Meinung der Öffentlichkeit zur Umgebungsmauer ist unerheblich und deswegen nicht eingeholt worden. Was zählt, ist das Wissen der Denkmalpfleger, ihre zwangsläufig rückwärts gewandte, dogmatische Sicht. Der Museumsverein gibt (allenfalls Unzufriedenen) nebenbei zu bedenken, dass nicht der öffentliche Raum, sondern das dem Verein gehörende Areal mit mehr Mauer versehen wird. Privatsache, sozusagen. Das ist richtig, aber erstens nützt dem Museumsverein sein eigenes Areal und Gebäude nur dann etwas, wenn die Öffentlichkeit an ihm interessiert ist und an ihm Freude hat. Zweitens ist die Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit als beträchtlich einzustufen, nachdem die Bürgerschaft den Umbau des Museums mit einem Ja-Stimmen-Anteil von fast 60 Prozent bewilligt hat - ein 8-Mio-Franken-Projekt. Die Zustimmung erfolgte, obschon die umstrittene Aufhebung des beliebten Durchgangs zur Gerbergasse zum Zeitpunkt der Abstimmung bekannt war. Es war ein von teilweisem Missfallen begleitetes Ja.Ob der Plan, den Anteil der Umgebungsmauer markant zu erhöhen, die Gunst der Bürgerschaft zusätzlich belastet und das Abstimmungsergebnis beeinflusst hätte, können wir nicht wissen. Gut möglich, dass die Mauerdiskussion die breite Öffentlichkeit kalt gelassen hätte. Vielleicht wäre sogar eine Mehrheit der Altstätterinnen und Altstätter von mehr Mauer begeistert gewesen - und mehr Mauer hätte somit im öffentlichen Interesse gelegen. Dann müsste nun nicht ein Projekt den Anschein erwecken, von der Denkmalpflege durchgestiert zu werden. Wir hätten dann vom Eindruck, die Arroganz früherer Machthaber finde in der Denkmalpflege ihre bedrückende Fortsetzung, verschont bleiben können. Allerdings ist eben nicht gesagt, dass das Projekt genehmigt worden wäre. Vielleicht hätte die «Einigelung» des Museumsareals mit einer Mauer den Menschen die Lust aufs neue Zentrum für Geschichte und Kultur vergällt.Die Vermutung liegt jedenfalls nahe, dass das Abstimmungsprojekt es schwerer gehabt hätte, wäre die Absicht, das Aussenareal in ein früheres Jahrhundert zurückzuversetzen, schon bekannt gewesen. Vor der Abstimmung war aber ein Teilabbruch der Mauer propagiert worden, also das Gegenteil einer «Einigelung». Wer Ja zum Umbauprojekt sagte, ging von einer zeitgemässen Öffnung aus.Der Museumsverein berief sich im Herbst darauf, dass nicht er selbst, sondern Ortsbildkommission und kantonale Denkmalpflege jenes Vorhaben vereitelt hätten. Zwangsläufig sei daher für den Umbau des Gebäudes ein separates Gesuch eingereicht und für die Erarbeitung eines zweiten Gesuchs für das Areal ein anerkannter Gartenbauplaner beigezogen worden.Die Ortsbildkommission lehnte einen «Abbruch kategorisch ab». Sie befand, die räumliche Geschlossenheit der Gartenanlage ginge mit einem Abbruch vollständig verloren, Später meinte die Kommission, die Erhöhung der Mauer gemäss historischen Vorlagen sei «zwingend und sinnvoll».Das Ganze ist überaus ärgerlich!Die Bürgerschaft hat dem Projekt unter anderen Vorzeichen zugestimmt. Erst im Nachhinein meldeten sich die Mauererhöhungsdurchsetzer zu Wort, was mit Blick auf die Ortsbildkommission eine wichtige Frage aufwirft: Hätte es nicht an ihr gelegen, die Öffentlichkeit vor der Abstimmung ins Bild zu setzen? Immerhin hatte es sich bei der allgemeinen Vorstellung von einer Öffnung offenkundig um eine vom Museum selbst verbreitete Fehlannahme gehandelt. Auch wenn die Ortsbildkommission sich im Rahmen konkreter Bauverfahren zu äussern hat, ist es ihr nicht verboten, Verantwortung zu übernehmen und Fehlmeinungen ins rechte Licht zu rücken. Muss man von einer Ortsbildkommission nicht erwarten können, dass sie sich in einem so wichtigen Punkt wie der Museumsmauer auch ungefragt (!) zugunsten der öffentlichen Diskussion zu einem frühen Zeitpunkt äussert, sobald sie konkrete Pläne als unrealistisch erkennt?Bei einer Urnenabstimmung müssen sich Bürgerinnen und Bürger dem Fachwissen nicht beugen. Sie sind über ihr Ja oder Nein, das sie einlegen, niemandem Rechenschaft schuldig.  Wären die heutigen Mauerpläne schon vor drei Jahren bekannt gewesen, hätte sich jeder und jede Stimmberechtigte fragen können, wie wichtig ihm oder ihr historisch korrekte Rekonstruktionen sind.Das Gute an Abstimmungen in der Schweiz ist ja auch, dass der einzelne Mensch sogar aus dem Bauch heraus abstimmen und «unvernünftig» sein darf. Er hat die Möglichkeit, sein eigenes Empfinden und sein persönliches Interesse an einer Sache gegenüber Fachwissen den Vorzug zu geben. Er hat das Recht, Vorgaben der Denkmalpflege aus seiner genauso wichtigen Perspektive eines Laien abzulehnen, weil ihm die vorgesehene Gestaltung des Museumsareals, so fachkundig sie auch ausgeführt sein mag, missfällt. Die Altstätterinnen und Altstätter hätten ja womöglich lieber auf ein Zentrum für Geschichte und Kultur verzichtet oder ihm nur unter dem Vorbehalt zugestimmt, dass eine zeitgemässe Aussenraumgestaltung möglich ist.Mag sein, dass die Gestaltung der Mauer, wie sie nun vom Museumsverein eingereicht wurde, die einzig richtige ist. Vielleicht hätte das Museumsprojekt, wie gesagt, auch eine Mehrheit gefunden, wenn von Anfang an mehr Mauer in Aussicht gestellt worden wäre. Aber darum geht es nicht. Es geht darum, dass von Anfang an hätte klar sein sollen, worum es geht. 

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