In der ersten halben Stunde traut man seinen Augen kaum. Widnaus Reserven spielen unbeschwert, stürmen drauflos, gehen früh und verdient durch Lucas Barboza in Führung und verpassen es trotz guter Chancen, das zweite Tor zu schiessen. Dann gleicht Diepoldsau aus. Als dem Leader nach gut einer Stunde das Tor zum 2:1 gelingt, scheint die Widnauer Niederlage festzustehen. Doch dann kommt die Schlussphase.
Torschütze gebracht
Widnau-Trainer José Torregrosa hat festgestellt, dass sich Stürmer Aaron Heule in Zweikämpfen und Laufduellen aufgerieben hat. Er kommt zu keinem einzigen Torschuss. In der 84. Minute holt ihn der Trainer vom Platz. Fatlum Rashiti übernimmt, setzt sich sofort auf der rechten Seite durch und trifft, noch ehe Heule auf der Auswechselbank Platz genommen hat, zum 2:2. Das ist der verdiente Lohn für das unermüdlich kämpfende Team. «Aaron hat seine Aufgabe gut gelöst», sagt der Trainer,
er ist viel gelaufen und hat damit Räume für die Mitspieler geöffnet.
Mit dem ganzen Team ist der Trainer sehr zufrieden. «In der Pause haben wir uns vorgenommen, nochmals eine so gute Leistung wie in den ersten 45 Minuten zu zeigen.» Das gelingt spielerisch nicht ganz, wohl aber resultatmässig.
Der Kämpfer
Aaron gehört zur Widnauer Familie Heule, in der alle vier Personen den Fussball lieben, allerdings auf unterschiedliche Art. Vater Marcel hat fast 15 Jahre beim FCW im «Eins» gespielt. Er war geschätzt als unermüdlicher Kämpfer und Chrampfer. Der gelernte Metzger hat seinen Beruf früh verlassen und arbeitet schon seit 30 Jahren bei der Firma Weder Optik in Balgach. Er ist heute nur noch Zuschauer, am liebsten mit seinem Hund auf der heimischen Aegeten.
Die Spätberufene
Mutter Karin stammt aus Kobelwald, wo Fussball keine Rolle spielt. Sie wächst ohne Sport auf. Erst im hohen Alter von 20 Jahren kommt sie zum FCW, lernt dort ihren Mann kennen und spielt als Abwehrspielerin im Frauenteam, das eine Saison lang sogar zur zweithöchsten Liga gehört.
Diese Zeit ist vorbei, aber Kontakte zu ihren ehemaligen Mitspielerinnen sind geblieben. Die gelernte Schuhverkäuferin arbeitet heute in einem Teilpensum in der Wäscherei der Stiftung Waldheim, der «Heimat für Menschen mit Handicap» in Walzenhausen. Aber Fussball ist auch für sie immer noch ein Thema. Sie ist oft auf der Lausanner Pontaise. Dort spielt Michael, der jüngere der beiden Buben, Fussball. Als Profi.
Das Talent
Michael Heule, Jahrgang 2001, hat den Fussballweg gewählt. Widnau, Team Rheintal-Bodensee, U-Teams des FC St. Gallen, FC Wil und seit über einem Jahr nun Stade Lausanne-Ouchy sind seine Fussballstationen. In der letzten Saison bremste ihn ein Fussbruch für längere Zeit, doch seit dieser Saison ist er Stammspieler, meistens als Aussenverteidiger. Bleibt noch der ältere Bruder.
Aaron Heule, Jahrgang 1999, besucht die Schulen in Widnau, macht eine KV-Ausbildung, schliesst an der BMS ab und arbeitet dann vier Jahre bei Sonnenbau in Diepoldsau. Seit Mitte dieses Jahres hat er seinen Arbeitsplatz als Verkaufsberater bei Elovade in Oberriet. Es geht auch in dieser Firma um Immobilien.
Spitzenfussball? Nein!
Aaron Heule wohnt in einer kleinen Wohnung in Widnau. «Allein. Ich habe keine Freundin. Beruf und Fussball sind mein Leben.» Fussball natürlich beim FC Widnau. Aber auch daheim.
Ich interessiere mich sehr, sehe dank TV und Internet jeden Tag Fussball und bin gut orientiert.
Er kennt Mannschaften und Spieler, Resultate und Ranglisten, nicht nur in der Schweiz. Ein Fussballkenner. Eine Karriere als Spieler, wie der jüngere Bruder? «Spitzenfussfall ist für mich kein Thema. Dazu habe ich kein Talent. Ich freue mich zwar auf jedes Training, auf jeden Match, aber nachher gehören Kollegen, Ausgang und Vergnügen ebenfalls zu meinem Leben.»
Ein Führungsspieler
Der Trainer schätzt ihn.
Er gehört zum Kern des Teams, ist ein anerkannter Führungsspieler, kann die Jungen motivieren und wirkt immer positiv.
Nach kurzem Überlegen fügt Torregrosa an: «Aber er kann gelegentlich auch ein Hitzkopf sein.»