St. Margrethen 24.11.2022

Bei der Lehrstellensuch das «Wir-Gefühl» aufrechterhalten

Lehrstellen werden tendenziell immer früher vergeben: Wie können Jugendliche, Eltern, Schulen und Unternehmen darauf reagieren?

Von pd
aktualisiert am 25.11.2022

Antworten gab es am ersten «querbeet»-Forum von «Chance Industrie Rheintal» (CIR). «Im Rheintal wurden auch dieses Jahr erste Lehrstellen schon im März vergeben. Das sind 16 Monate vor dem Lehrstart.» Mit diesen Worten läutete CIR-Vorstandsmitglied Ivo Riedi das erste «querbeet»-Forum ein, das kürzlich in St. Margrethen stattfand. Mit vier Experten diskutierte er vor rund 100 Besucherinnen und Besuchern das ideale Timing bei der Lehrstellenvergabe.

Patrick Quauka erläuterte die Sicht eines Vaters von zwei Töchtern im Berufswahlalter: «Eltern sind in der Berufswahl Laien. Sie müssen sich zuerst mit dem Berufswahlfahrplan und den Hilfsmitteln vertraut machen.» Er wünsche sich von den Schulen, dass die Eltern möglichst früh und transparent über den Ablauf des Berufswahlprozesses informiert würden. Sandro Hess, Schulleiter der Oberstufe Feld in Altstätten und St. Galler Kantonsrat, nahm den Wunsch dankend entgegen. Er betonte gleichzeitig, dass es ­gefährlich sein könne, wenn sich Schülerinnen und Schüler zu früh für eine Lehrstelle entscheiden: «Wer sich auf einen Beruf oder Betrieb fixiert, blendet andere Möglichkeiten möglicherweise aus.» Der Entscheid für einen Lehrberuf sollte möglichst breit abgestützt sein.

Einige Jugendliche lassen nach

Bruno Müller, Leiter des Amts für Berufsbildung im Kanton St. Gallen, pflichtete Hess bei: «Es gibt leider auch Jugendliche, die in der Schule nachlassen, sobald sie eine Lehrstelle haben. Das dürfte der Hauptgrund dafür sein, dass schlechte Leistungen in der Berufsschule der häufigste Grund für die Auflösung von Lehrverträgen sind.» Hier sieht Thomas Graf, Berufsbildungs­leiter beim liechtensteinischen Heizungs- und Lüftungsherstellers Hoval, auch die Firmen in der Pflicht: «Es kann nicht sein, dass die künftigen Lernenden nach der Unterzeichnung des Lehrvertrags bis zum Lehrstart nichts mehr vom Unternehmen hören. Das ‹Wir-Gefühl› muss aufrechterhalten werden, damit die Motivation nicht leidet.»

Stichtag ist keine Wunderlösung

Im Fürstentum Liechtenstein existiert zwischen der Arbeitsgruppe Industrielehre, dem Bankenverband und der Treuhändervereinigung die Abmachung, Lehrstellen erst am 2. November zu vergeben. «Und zwar erst nach 7.30 Uhr», fügte Thomas Graf an. Was sich lustig anhöre, sei kein Scherz: «Am 2. November um 7.30 Uhr sind alle ­Berufsbildungsverantwortlichen am Telefon, um ihre Lehrstellen zu vergeben. Wer zu spät anruft, der kann seine Lehrstellen nicht besetzen.» Ohnehin sei die späte Vergabe gerade für kleinere Betriebe, die nur wenige Interessentinnen und Interessenten für eine Lehrstelle haben, ein Problem. Insofern sei auch ein Stichtag keine Wunderlösung, um den Berufswahlprozess zu entschleunigen.

Sandro Hess gab insbesondere den anwesenden Eltern mit auf den Weg, mit einer positiven Haltung an den Berufswahlprozess heranzugehen: «Ein gewisser Druck gehört zum Leben, weshalb er auch in der Berufswahl nicht komplett ausgeschaltet werden sollte. Wir können aber versuchen, möglichst konstruktiv mit ihm umzugehen.»

Alle Seiten sind ins Gespräch gekommen

Ivo Riedi, Vorstandsmitglied von CIR und Initiator des «querbeet»-Forums, zog nach der Premiere eine positive Bilanz: «Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik, Bildung sowie Eltern von Jugendlichen im Berufswahlprozess sind in lockerer Atmosphäre miteinander ins Gespräch gekommen. Genau das war das Ziel.»

Das «querbeet»-Forum soll deshalb auch künftig im Rahmen des Berufsevents die Möglichkeit bieten, aktuelle Fragestellungen zum dualen Berufsbildungssystem zu diskutieren. Vorschläge konnten die Besucherinnen und Besucher vor dem abschliessenden Apéro gleich selbst einbringen. 

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