Der Konzertzyklus Altstätten lud dieses Jahr zu einem ganz besonderen Karfreitagskonzert ein: Unter dem Titel
Aber jetzt hatte ich
keinen Hunger mehr
trug die junge deutsche Sängerin Anna M. Stephany Texte ihrer Grossmutter Maria Stephany vor. Sie erzählte von deren Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg, an Not, Angst und Lebensgefahr. Die Mezzosopranistin wollte ihr Publikum auch an die gegenwärtigen Leiden der zahlreichen Menschen auf der Flucht und im Kriegsgebiet Ukraine erinnern.
Nicht eigens erwähnt, doch im Hintergrund immer deutlich präsent klang auch das Leiden Christi mit. Die gehaltvollen Texte bereicherte die Sängerin mit passendem Liedgut von Gustav Mahler, Franz Schubert, Johannes Brahms, Wolfgang Amadeus Mozart und Kurt Weill.
Mit zwei Klavierstücken, einem Nocturne von Frédéric Chopin und einer Arabesque von Robert Schumann umrahmte Julia Pleninger das Liederprogramm.
Uraufführung von «Käfig» über Angst und Schmerz
Ein besonders interessantes Lied erklang als Uraufführung. «Käfig» schrieb der deutsche Komponist Leonard Willscher, ein Cousin der Sängerin und ebenfalls Enkel von Maria Stephany. Das moderne und ausdrucksstarke Lied zeichnete eindrücklich die Angst und den Schmerz, die Schreie des gepeinigten Menschen nach. Mit wuchtigen Klängen begleitete Julia Pleninger die Sängerin, wobei sie nicht in die Tasten schlug, sondern ins Innere des Flügels griff und dessen Saiten mit den Fingern zupfte, strich und zum Klingen brachte.
Die Geschichte der Grossmutter beginnt im Jahr 1939 in der Schule, die zunehmend von den damaligen Machthabern instrumentalisiert wurde. Militärischer Drill und Indoktrination kehrten ein. Die Kinder verstanden das alles kaum, erlebten aber die Betroffenheit ihrer Eltern mit. Es folgten die Evakuierung und die Flucht aus dem Frontgebiet.
Hunger und Not, Angst und Schrecken erfasste das damals zwölfjährige Mädchen Maria Stephany.
Dann folgte der Vormarsch der Alliierten nach Deutschland, Bombardierungen und schliesslich die Kapitulation. Die Flüchtlinge kehrten zurück in ihre zerbombte und vom Krieg verwüstete Heimat. Aber trotz allem:
Wir leben noch. Wir sind wieder zurück. Und wir haben keinen Hunger mehr.
Für die nun Fünfzehnjährige kamen allerdings neue schreckliche Erlebnisse dazu: Ihr Vater starb unerwartet nach einem Arbeitsunfall.
Grauen der Zeit in kindlicher Sprache
Die Texte der Grossmutter sind unspektakulär. Der Grauen der Zeit wird in einfacher, kindlicher Sprache geschildert. Voyeuristische Detailschilderungen von Krieg, Tod und Zerstörung fehlen. Aber gerade das macht die Schilderungen ergreifend.
Die schlichte Sprache und die gekonnte Verbindung mit hervorragend ausgesuchten Liedern machte den Abend zu einem grossartigen Karfreitagserlebnis.
Anna M. Stephany erinnert mit Liedern und Geschichten ihrer Grossmutter an den Krieg