12.11.2021

Aus christlicher Sicht: In der Stille des Winters

Im November beginnt die stille Zeit. Nach der Freude und dem Trubel der Erntedankzeit begibt sich die Natur zur Ruhe.

Von Andrea Hofacker
aktualisiert am 03.11.2022
Es ist der letzte Monat des Kirchenjahres, bevor am 1. Advent ein neues beginnt. Der November ist geprägt von Gedanken an Vergänglichkeit und Abschied von unseren Verstorbenen. Vielleicht gibt es schon den ersten Schnee. Dann wird auch die Natur still. Die Stille einer verschneiten Landschaft ist mit kaum einer anderen akustischen Erfahrung zu vergleichen.Auch wir Menschen können still werden. Alle Religionen kennen Meditationen in Stille, alle kennen die Erfahrung von Leere, die in der Stille wohnen kann. Die Stille kann uns helfen loszulassen, was uns im Alltag beschwert. Sie kann uns dabei helfen, uns wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren, auf Dinge, die wir wirklich brauchen, die uns wirklich leben lassen. Sie kann uns wieder aufschliessen für unsere Grundbedürfnisse, aber auch für unsere grundlegenden Gefühle. Traurigkeit, Freude, Liebe, Glück oder Unglück, Dankbarkeit, Verlust. Es gibt Zeiten, da sucht man die Stille, den Rückzug.Wenn im Leben Veränderungen anstehen zum Beispiel, brauchen manche Menschen eine Zeit des Rückzugs, um sich darauf vorzubereiten. Stille und Leere sind auch Orte, Zustände, an denen uns Gott begegnen kann. Dietrich Bonhoeffer hat einmal geschrieben: «Das Schweigen der Christen ist ein hörendes, ein demütiges Schweigen.» Wer immerzu redet, der kann nicht zuhören. Auf Gott hören bedeutet auch, sich im Schweigen üben, in der Stille. Schweigen ist die Stille zwischen Menschen. Es gibt ein unangenehmes Schweigen, eine Funkstille, die den anderen bestrafen oder unter Druck setzen soll, ein Machtmittel. Das meine ich nicht. Ich meine ein gemeinsames Schweigen von zwei Menschen, die einen guten Draht zueinander haben, und es deshalb aushalten, gemeinsam zu schweigen.Meistens ist es unangenehm, wenn in einem Gespräch eine Pause entsteht. Mit jemandem schweigen können, und das als angenehm zu erleben, ist ein seltenes Geschenk. Es bedeutet, dass man sich gemeinsam der akustischen Leere hingeben kann. Das erfordert Mut und grosses Vertrauen in die andere Person. Wer das schon einmal erlebt hat, der weiss, dass aus Gesprächen, die auch stille Zeiten kennen, die besten und kreativsten Ideen und tiefgründigsten Begegnungen wachsen können.Und so wünsche ich Ihnen für den November, dass Sie eine gute Erfahrung machen können mit der Stille. Mit der Stille alleine für sich, mit Gott oder mit einem anderen Menschen, der auf eine schöne Art mit Ihnen gemeinsam schweigt.Andrea Hofacker, Pfarrerin in Marbach