Fatmire Sopas Geschichte ist eine über Liebe, freie Entscheidungen, Selbstbestimmung und patriarchale Muster. Eine Geschichte, die böse endet. Die Kinder einer kosovarischen Familie in Konstanz sollen sich mit anderen Kosovaren verheiraten – die Mädchen möglichst früh. Die Protagonistin Hanna entscheidet sich aber für die frei gewählte Liebe und löst damit grosses Unglück aus. Kommen die Geschichten von arrangierten Ehen, Gewalt, patriarchalen Strukturen und Mädchen, die aus Kosovo geholt werden, um dann in Westeuropa ausgenützt zu werden, auch im Rheintal vor?
Frau Sopa, wie sind Sie auf diese Geschichte gekommen?
Fatmire Sopa: Ich war bei meinem Onkel in Deutschland zu Besuch, da erzählte mir die Schwester der Protagonistin die Geschichte. Das ist bereits ein paar Jahre her. Ich änderte die Namen und siedelte die Geschichte an einem anderen Ort, in Konstanz, an.
Es kommt sehr viel zusammen in «Hanna»: Ein Vater, der völlig ausrastet, Mütter, die versagen. Gute Freunde, die nichts ausrichten können. Am Ende zieht Hannas Vater sogar eine Pistole. Ist das alles wahr?
Solche Fälle häuslicher Gewalt kommen immer wieder vor – bis zum Tod. Es kommt etwas darauf an, aus welcher Region jemand stammt.
Sie sind nicht nur Autorin, sondern auch selbst Teil der kosovarischen Community und arbeiten im Rheintal im Migrationsbereich. Lassen sich die deutschen Verhältnisse mit jenen in der Schweiz vergleichen?
Klar, aber die Verhältnisse variieren in jeder Gesellschaft, vor allem, wenn wir in die Zeit von vor 24 Jahren zurückgehen, als die Protagonistin lebte.
Diese Geschichte könnte also im Rheintal spielen?
Ich höre hier dieselben Geschichten. Sie betreffen nicht nur die albanischen Gemeinschaften aus Kosovo, sondern auch jene aus anderen Ländern, etwa Serbien (Albaner, die in Serbien leben), Albanien oder Nordmazedonien. Oft spielen sie sich vor muslimischem Hintergrund ab.
Sie beschreiben Hanna als aufgeklärte und philosophisch denkende Frau. Wie typisch ist sie für junge Kosovarinnen?
Hanna macht sich Gedanken und sieht, dass es zwischen den Menschen keine Unterschiede gibt. Die meisten jungen kosovarischen Frauen haben solche Gedanken, aber sie können und dürfen sie nicht äussern. Oft werden sie aufgrund ihrer Liebenswürdigkeit von Familie und Gesellschaft zu Opfern gemacht.
Wie ist es umgekehrt, wenn sich ein kosovarischer Junge in eine Schweizerin verliebt?
Männer dürfen sich verlieben und Schweizerinnen heiraten. Da ist man sogar etwas stolz darauf, dass die Söhne eine Schweizerin als Partnerin haben.
Zur Person
Fatmire Sopa wurde in Kosovo geboren und wuchs auch dort auf. Sie schreibt, seit sie ein Kind war. Sopa lernte ihren Mann in ihrem Heimatland kennen und folgte ihm in die Schweiz.
Seit dem Jahr 2006 lebt sie in Oberriet. Die promovierte Juristin arbeitet für Fachstelle Integration des Vereins St. Galler Rheintal. Fatmire Sopa veröffentlichte bereits zwei Lyrikbände und gewann mehrere Preise.
Sie arbeitet im Moment an einem neuen Roman, in welchem es um Frauen und Kriminalität gehen soll.
Dann leiden vor allem die jungen Frauen unter den Erwartungen der Familie?
Ja, die Mädchen und Frauen leiden sehr.
Im Buch beginnt Vater Gani, eine Heirat für Hanna in Kosovo vorzubereiten. Sie begründen das damit, dass es einer Gesellschaft, die jahrhundertelang unterdrückt worden ist, sehr schwerfällt, die Sitten und Gebräuche hinter sich zu lassen.
Die Leute möchten keine Veränderungen. Die Kinder sollen die Tradition weiterführen, die Frauen und Mädchen sich die Ehepartner in Kosovo suchen. Dies aus Angst, dass die kosovarische Kultur sonst assimiliert würde. Auch die Religion spielt noch eine grosse Rolle. Wenn die Albaner aber ihre Geschichte richtig kennen würden, dann würden sie wissen, dass sie zum Islam konvertieren mussten. Wir wurden dazu gezwungen.
Gibt es – je nach Herkunft – Unterschiede?
Die Menschen in Kosovo selbst sind fortschrittlicher eingestellt. Albanien ist sowieso ein Sonderfall, weil das autoritäre sozialistische System dort keine Diskurse über Religion zuliess.
Was Sie schildern, gibt und gab es aber auch in anderen Gesellschaften. Wieso schaffen es die Kosovaren und Kosovarinnen nicht, diese Strukturen hinter sich zu lassen?
Viele Leute erkennen nicht, dass Integration nichts mit Assimilierung oder Diskriminierung zu tun hat. Sie beharren auf ihren Positionen. Vielleicht ist das so, weil der Krieg im Kosovo noch nicht lange zurückliegt und man um die Nation kämpfen musste.
Sie schreiben in Ihrem Buch über eine zweite Generation von Kosovaren in Deutschland. Wird sich die dritte Generation in der Schweiz leichter tun, sich über die Grenze der eigenen Gemeinschaft hinaus zu verbinden?
Heute ist es einfacher. Die dritte Generation lebt anders als damals, viele albanische Frauen und Männer arbeiten mit Schweizern zusammen. Beziehungen zu Schweizern sind zwar nicht mehr ein 100-prozentiges Tabuthema, trotzdem gibt es immer noch Junge, die selbst gegen solche Beziehungen sind. Das ist traurig. Hanna fragt sich ja: Wieso leben wir hier, wenn wir einander unwürdig sind?
Was muss getan werden, damit Beziehungen zwischen Kosovarinnen und Schweizern möglich werden?
Die Kosovaren müssten sich integrieren lassen, «dabei sein». Sie müssten sich eingestehen, dass die Schweizer nicht so sind, wie sie manchmal in kosovarischen Kreisen dargestellt werden. Gerade im Rheintal gibt es Angebote, die das ermöglichen.
Wie gross ist Ihre Hoffnung, dass das bald so wird?
Nicht so gross. Manchmal kann ich die Leute nicht verstehen. Das Leben ist so viel einfacher, wenn man integriert ist.
Welche Reaktionen erleben Sie zu Ihrem Buch?
Ich habe mich immer gefragt, was die Kosovarinnen und Kosovaren dazu sagen werden. Von den Frauen habe ich bisher nur Positives gehört. Für die Männer ist es heikel, von ihnen habe ich noch nichts gehört.
Haben Sie keine Angst vor Konsequenzen, die das Buch bringen könnte?
Nein, mir ist es egal, wenn jemand nicht mit dem Buch einverstanden ist. Albanischstämmige Schriftsteller haben mir gratuliert. Doch es gibt nicht viele, die über das Thema schreiben. Aber ich sehe jeden Tag solche Vorkommnisse. Ich begleite oft Frauen wegen häuslicher Gewalt. Ich musste einfach darüber schreiben.
Eine Kosovarin verliebt sich nicht nach den Regeln
Fatmire Sopa erzählt in «Hanna» die Geschichte einer jungen Kosovarin, die sich in Konstanz in einen Deutschen verliebt. Was unter anderen Umständen eine schöne Liebesgeschichte sein könnte, wird aufgrund von Hannas Herkunft zum Problem, ja zur Tragödie.
Sopa beschreibt eine Familie der kosovarischen Diaspora in Deutschland, in welcher der Vater das Familienoberhaupt und die Bewahrung der albanischen Tradition und Identität oberstes Ziel ist. Die Kinder der Familie sollen «im Geiste der Vaterlandsliebe» aufwachsen.
Der Vater erwartet von ihnen, dass sie sich innerhalb der kosovarischen Gemeinschaft nach geeigneten Ehekandidatinnen und -kandidaten umschauen, denn die Unterschiede zwischen Kosovarinnen und Deutschen seien einfach zu gross. Hanna und ihr deutscher Freund Chris wagen die Beziehung trotzdem.
Hinweis
Sopa, Fatmire: Hanna. Novum Verlag, 2024. 127 Seiten. Bezogen werden kann «Hanna» online bei gängigen Buchhandlungen.