27.06.2018

Zurück mit den gelben Streifen!

Meinung

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Kindern wird mit grossem Einsatz und geduldig beigebracht, wie sie sich unterwegs zu verhalten haben. Denn sie sollen sicher durch den Alltag kommen. Eine grosse Hilfe sind Fussgängerstreifen. Kinder lernen, dass sie vor ihnen warten, bevor sie die Strasse queren. Sie warten solange, bis die Autofahrer von beiden Seiten gehalten haben. Die Anleitung ist unmissverständlich: Das Kind wartet, der Autofahrer muss halten, und erst wenn die Autos wirklich stehen, ist der Weg frei für das Kind.Das ist ein Konzept, und es hat einige Jahre gedauert, bis man sagen konnte, dass es wirklich gut ist. Aber heute ist es das.Fussgängerstreifen (als sichere Wegstücke zum Beispiel des Schulwegs) sind genauso anerkannt wie der Vortritt der Kinder und Erwachsenen bei einem Zebrastreifen. Das Konzept ist deshalb so gut, weil a) die Fussgänger gelernt haben, strikt am Strassenrand zu warten, und weil b) die Fahrzeuglenker sich (vorwiegend aus Einsicht) daran gewöhnt haben, tatsächlich zu halten.Nun kamen die Verkehrsexperten auf die (im Grunde gute) Idee, die bestehenden Fussgängerstreifen auf ihre Tauglichkeit zu prüfen. Die Frage lautet: Sind sie wirklich sicher? Niemand widerspricht der Polizei, wenn sie sagt: Lieber keinen Streifen als einen, der nicht sicher ist. So ist es beispielsweise sinnvoll, Zebrastreifen ordentlich zu beleuchten und sie von unübersichtlichen Stellen zu entfernen.Zwischen Heerbrugg und Altstätten sind in jüngster Zeit sechs Fussgängerstreifen verschwunden. Wer gut hinschaut, kann sie zwar noch sehen, doch die gelbe Farbe ist beseitigt worden, denn die Streifen wurden aufgehoben.Einer dieser entfernten Zebrastreifen befand sich in Rebstein, direkt bei Bushaltestelle, Bäckerei und Pizzeria. Seine Tilgung gibt zu Recht zu reden. Denn der gesunde Menschenverstand widerspricht vehement jedem noch so vagen Verdacht, dieser Fussgängerstreifen könnte nicht sicher gewesen sein. Die Übersicht ist hier geradezu perfekt und die Idee, ein Streifen an diesem Ort könnte gefährlich sein, müssen Rebsteiner und alle anderen, die mit der Stelle vertraut sind, als grotesk empfinden.Die Entfernung dieses (und anderer) Streifen bewirkt exakt das Gegenteil des Angestrebten – nicht mehr Sicherheit, sondern Unsicherheit. Kinder warten noch immer beim ehemaligen Fussgängerstreifen, und obschon er aufgehoben ist und kein Autofahrer mehr halten müsste, tun das viele Fahrzeuglenker aus Gewohnheit nach wie vor.Aus Expertensicht ist ein Fussgängerstreifen nicht nur dann unsicher, wenn die Übersicht fehlt, sondern auch dann, wenn er zu selten benützt wird. Die Fahrzeuglenker, heisst es, beachteten ihn dann zu wenig. Besser sei es für Fussgänger in diesem Fall, die Strasse mit der gebotenen Vorsicht an einer Stelle zu queren, wo kein Fussgängerstreifen besteht. Das ist erlaubt, falls innerhalb von fünfzig Metern kein Fussgängerstreifen vorhanden ist.Erwachsenen bereitet das Wechseln der Strassenseite ohne Fussgängerstreifen in aller Regel kein Problem. Gebrechliche Menschen tun sich schwerer. Kinder sowieso. Denn plötzlich soll nun also nicht mehr gelten, was man eingeimpft bekam? Statt zwingend einen Zebrastreifen zu benützen, soll es plötzlich auch in Ordnung sein, an einer fast beliebigen anderen Stelle die Strassenseite zu wechseln? Erst-, Zweit-, Drittklässler, vielleicht auch ältere Kinder dürften sich schwer damit tun, eine 50-Meter-Distanz zu schätzen. Und gerade in Stosszeiten kann man schon heute erleben, wie lange das Warten am Strassenrand dauern kann, bis der Weg ganz oder halbwegs frei ist.Weshalb ohne Fussgängerstreifen an übersichtlichen Stellen die Sicherheit grösser sein soll, bleibt ein Rätsel. Selbst, wenn man die Begründung kennt. Dass «Mindestfrequenzen eine wesentliche Voraussetzung für die schützende Wirkung von Fussgängerstreifen» seien, behauptet zwar die Beratungsstelle für Unfallverhütung. Aber erstens ist das nicht mit Zahlen nachgewiesen, und zweitens stechen Fussgängerstreifen dem Fahrzeuglenker ins Auge, ganz gleich, ob sie sich in eher kurzen Abständen folgen oder weit auseinanderliegen. Das ist dem Umstand zu verdanken, dass Fussgängerstreifen so gestaltet sein müssen, dass der Verkehrsteilnehmer sie zwangsläufig wahrnimmt.Wie viel Unverständnis der Aufhebung bewährter Zebrastreifen entgegengebracht wird, zeigt die anhaltende Diskussion – in Elternräten, Schulen, Leserforen. Auch besonnene Menschen wie der Marbacher Gemeindepräsident Alexander Breu äussern eine Meinung, die jener der Fachleute entgegensteht. Breus Ansicht nach lebt es sich in Marbach gefährlicher, seit auch hier mehrere Fussgängerstreifen entfernt wurden.Verbesserungen sind zwar ebenfalls zu sehen oder zu erwarten – zum Beispiel in Balgach, wo ein Fussgängerstreifen nicht nur sinnvoll verlegt, sondern zudem mit einer Mittelinsel ausgestattet wurde. Auch für die Oberrieterstrasse in Altstätten sind solche Inseln zum Vorteil der Fussgänger geplant. Andererseits sind manche Fussgängerstreifen trotz naher Kurve und somit bescheidener Sichtweite noch immer vorhanden. Und wer richtig staunen möchte, sehe sich die von der Staatsstrasse in Lüchingen abzweigende Feldwiesenstrasse an; wer aus Richtung Altstätten nach rechts auf diese Strasse einbiegt, sieht vor sich einen Fussgängerstreifen aus dem Nichts auftauchen, hat aber auf allenfalls am anderen Strassenrand wartende Kinder keine Sicht, wenn in der Gegenrichtung grössere Fahrzeuge auf freie Fahrt warten.Noch ist zum Glück nicht aller Tage Abend. Dass Zebrastreifen zwischen Heerbrugg und Altstätten, die klammheimlich entfernt wurden, zurückkommen, ist nicht ausgeschlossen, wie kürzlich zu lesen war.In der Bevölkerung dürfte weitgehend Einigkeit herrschen: Kinder sollten nicht einmal so und ein andermal anders eine Strasse queren, sondern einen festen Grundsatz haben. Nur Verlässlichkeit hat Sicherheit zur Folge.Am meisten Sicherheit brächte natürlich ein langsameres Fahren. Aber innerorts auch auf Hauptachsen Tempo 30 – davon möchten die meisten Politiker (und wahrscheinlich auch Autofahrer) nichts wissen. Obschon jeder Fahrzeuglenker ehrlicherweise für Tempo 30 einstehen müsste, sofern er mehr Sicherheit fordert, wird Tempo 50 vermutlich noch lange gelten.Zum Glück gibt es wenigstens Fussgängerstreifen. Und bloss nicht zu wenige, solange Strassen nicht ganz und gar fussgängerfreundlich gestaltet sind!Gert Bruderergert.bruderer@rheintalmedien.ch

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