08.07.2020

Zum Bauernopfer gemacht

Klaus Heither kündigte im März 2018 nicht freiwillig. Der Kreisrat der Seelsorgeeinheit Altstätten drängte ihn dazu.

Von Monika von der Linden
aktualisiert am 03.11.2022
«Manchmal war ich fehl am Platz.» Das Interview, das Ramona Casanova-Baumgartner am 20. Juni unserer Zeitung gab, riss in Lüchingen alte Wunden auf. Es war für die Pastoralassistentin immer schwieriger geworden, mit den Seelsorgern in der Seelsorgeeinheit Altstätten zusammenzuarbeiten. Sie kündigte ihre Stelle. Inzwischen wurde sie verabschiedet.Die Wunden schmerzen so stark, dass sich «ein kritischer Kirchbürger» an die Redaktion wandte. Dem Schreiben lag ein Bericht der Ombudsstelle des Bistums St. Gallen bei (siehe Kasten). Das 17 Seiten umfassende Dokument hatte Kathrin Hilber (Mediatorin und Ombudsfrau) im September 2019 unterzeichnet. Es gibt Aufschluss darüber, warum Klaus Heither im Sommer 2018 die Pfarrei Lüchingen und die Seelsorgeeinheit Altstätten verliess.14 Jahre lang hatte Klaus Heither Veränderungen in der Kirche stets mitgestaltet. «Inzwischen wiederholen sich viele Vorgänge. Damit er seine Freude am Beruf bewahrt, verändert er jetzt den Arbeitsort», schrieb diese Zeitung im März 2018 über die Entscheidung des Pastoralassistenten. Den wirklichen Grund nannte Klaus Heither nicht. Er schwieg. Er hatte eine entsprechende Klausel unterschrieben.Die Menschen in der Pfarrei verstanden nicht, warum der Seelsorger ging. Es entstanden Gerüchte, die mitunter den Ruf des eingebürgerten Schweizers schädigten. Er fühlte sich genötigt, die Seelsorgeeinheit zu verlassen, und ging nach Buechen-Staad. Frau und Kinder blieben in Lüchingen. Der Seelsorger geriet selbst in seelische Not. Er wandte sich an die Ombudsstelle.Ohne Unterschrift wäre die Karriere beendet gewesenDer Ombudsbericht lässt den Schluss zu, dass Klaus Heither fehl am Platz war. Was seine Berufskollegin später in Rebstein empfinden würde, tischte ihm der Kreisrat unverblümt auf. Dieses Gremium bestand, bevor die Kirchgemeinden auf dem Gebiet der Seelsorgeeinheit Altstätten einen Zweckverband gründeten. Die Verwaltungsräte berieten und beschlossen im Kreisrat gemeinsame Belange.Am 19. September 2017 legten die Kreisräte Kurt Sieber und Linda Zünd sowie Vermittler Peter Lampart (Leiter Personalamt im Bistum St. Gallen) Klaus Heither ein vorbereitetes Protokoll zur Unterschrift vor. Sie übten Zeitdruck aus. Der Seelsorger sollte bis Ende Februar 2018 selbst kündigen und über die Gründe schweigen.Obwohl er weder fachlichen und rechtlichen Rat einholen noch sich mit seiner Frau besprechen konnte, unterschrieb Klaus Heither das Protokoll. Ausschlaggebend dürfte ein Passus gewesen sein. Er besagt sinngemäss, der Kreisrat werde sich im Eilverfahren an den Bischof wenden, auf dass dieser dem Pastoralassistenten die Lehrerlaubnis (Missio) entziehen möge. Klaus Heither hätte nicht mehr predigen und Religionsunterricht erteilen dürfen. Das hätte das Ende seiner Karriere bedeutet. Bischof Markus Büchel habe nicht gewusst, dass man ihn gegenüber Klaus Heither als Drohgebärde einsetzt, heisst es im Ombudsbericht. Das sei einem unlauteren Verhalten gleichzusetzen.Dem Höhepunkt des Konfliktes waren arbeitsrechtliche Unklarheiten vorausgegangen. Als sich die Kirchgemeinden in der Seelsorgeeinheit Altstätten zum Zweckverband zusammenschliessen wollten, sollten alle Mitarbeitenden neue Arbeitsverträge bekommen. Als Teamkoordinator hatte Klaus Heither die Rolle, offene Fragen der Mitarbeitenden zu klären. «Es ist die Pflicht des Arbeitgebers, solche Fragen vor Vertragsunterzeichnung zu beantworten», steht im Ombudsbericht geschrieben.Unter anderem sollte dem Pastoralassistenten als Kompensation zur Arbeitszeitreduktion von 44 auf 42 Wochenstunden der Lohn gekürzt werden. Dies stand in Widerspruch zur Besitzstandswahrung. Weiter wollte man ihm eine Treueprämie verwehren, die ihm laut Reglement zustand. Zur mehrfach erbetenen Aussprache kam es nicht. Die offenen Fragen blieben unbeantwortet. Simon Seymer hätte sie als Präsident der anstellenden Kirchgemeinde Lüchingen geben müssen. Stattdessen legte man Klaus Heither nahe, er möge die Teamkoordination Pfarrer Roman Karrer übertragen. Dies würde zur Entspannung führen. Heither willigte ein. Die Lage entspannte sich nicht. Es folgte das Protokoll mit der Verschwiegenheitserklärung. Kathrin Hilber zieht in ihrem Bericht das Fazit, dass es der Sache dienlich gewesen wäre, hätte Simon Seymer die arbeitsrechtlichen Fragen geklärt und kommuniziert. «Es hinterlässt einen üblen Beigeschmack, wenn die vorgesetzte Behörde in Abwesenheit des Betroffenen zur Entscheidung kommt, dass eine Trennung der einzig richtige Weg sei.» Die Verantwortung für alle Entscheide und die Art der Kommunikation sieht Kathrin Hilber bei allen Kreisräten.Der Kreisrat hatte keine Kompetenz, das Arbeitsverhältnis zu kündigen. Arbeitgeber war damals die Kirchgemeinde Lüchingen. Deshalb bedurfte es der Unterschrift Klaus Heithers.Zwar rechtlich, aber nicht moralisch aufgearbeitetDie Ombudsfrau führte mit mehreren Involvierten Interviews. Mehrfach wiesen Gesprächspartner darauf hin, dass es in der Seelsorgeeinheit Altstätten unterschiedliche Auffassungen zum Kirchenverständnis gebe. Sie führten zu Spannungen über Wertvorstellungen in der Seelsorge und die Rollen von Priester und Pastoralassistenten. William Canal, Präsident KVR Altstätten, definiere sein Kirchenbild tendenziell eher klerikal und vorkonziliar, heisst es im Bericht. Die Begriffe bedeuten, dass man die Ansprüche Geweihter fördert und ein rückwärts gewandtes Kirchenbild hat. William Canal wird zitiert: «Lieber ein schweizerischer Pfarrer als ein deutscher Pastoralassistent.»Die Ombudsstelle zieht das Fazit, dass die Gründe, die zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses zwischen Katholisch Lüchingen und Klaus Heither führten, nicht transparent waren. «Nachdem die arbeitsrechtlichen Fragen nie geklärt wurden, liegt es auf der Hand, dass Klaus Heither als ‹Bauernopfer› für die unterschiedlichen Wertehaltungen im Kirchenverständnis herhalten musste.» Die Kreisräte hätten die Überführung in den Zweckverband zum Anlass genommen, das inhaltliche Spannungsfeld in der Seelsorgeeinheit aufzuheben.«Die ‹Angelegenheit Klaus Heither› ist rechtlich abgeschlossen, moralisch aber nicht», schliesst Kathrin Hilber ihren Bericht. Sie empfiehlt dringend eine Nachbereitung in den entsprechenden Gremien als ersten Schritt. «Dazu ist die Verschwiegenheitsverpflichtung aufzuheben.»OmbudsstelleDie Ombudsstelle des Bistums St. Gallen/Kath. Konfessionsteil arbeitet im Auftrag des Administrationsrates und des Bischofs von St. Gallen unter der Leitung von alt Regierungsrätin Kathrin Hilber. Im Reglement ist festgeschrieben, dass sich Mitarbeitende und freiwillig Engagierte mit Beschwerden bei Arbeitsplatzkonflikten, Mobbing, physischer und psychischer Gewalt an die Ombudsstelle wenden können. Der Bericht in der «Angelegenheit Klaus Heither» wahrt die Vertraulichkeit und ist abgestützt auf Gespräche mit Bischof Markus Büchel, Generalvikar Guido Scherrer, Peter Lampart (Personalamt Bistum St. Gallen), William Canal (Präsident Kirchenverwaltungsrat (KVR Altstätten, Linda Zünd, (KVR Altstätten), Simon Seymer (Präsident KVR Lüchingen, Präsident KVR Marbach) und Kurt Sieber (Präsident KVR Rebstein). (vdl) 

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