07.06.2021

Zuerst muss das Gift aus dem Boden

Da der Boden verseucht ist, verzögert sich der Erweiterungsbau des Gefängnisses Altstätten. Die St. Galler SP reagiert mit zwei Vorstössen.

Von Janina Gehrig
aktualisiert am 03.11.2022
Die Bagger hätten in Altstätten schon im letzten Sommer auffahren sollen. Doch der Baustart für die Erweiterung des Regionalgefängnisses, das die kleineren Haftanstalten in Gossau, Bazenheid, Widnau und Flums aufheben sollte, verzögert sich. Dadurch kann auch das neue Bundesasylzentrum erst später entstehen. Der Grund: Im Herbst letzten Jahres hatte ein vom Kanton durchgeführtes Gutachten ergeben, dass der Baugrund, der jahrelang als Feuerwehrübungsplatz diente, kontaminiert ist. Und zwar mit chemischen Verbindungen aus der Stoffgruppe der PFAS (siehe Kasten). Die fluorhaltige Substanz kommt im Löschschaum der Feuerwehr vor und kann in der Natur kaum abgebaut werden.  Dass unter dem kontaminierten Boden nicht nur die Umwelt, sondern auch die Häftlinge leiden, hat die kantonale SP auf den Plan gerufen. Sie wird an der heute startenden Juni-Session gleich zwei Interpellationen einreichen: Zum Feuerwehr-Löschschaum und den Bauverzögerungen beim Gefängnis.«Die Haftbedingungen sind desolat» «Politisch ist das Problem noch zu wenig registriert worden. Wir wollen wissen, was das für die Umwelt und die Gesundheit genau bedeutet», sagt Bettina Surber, Präsidentin der SP-Fraktion im Kantonsparlament. Dass der kontaminierte Boden ausgerechnet den Erweiterungsbau des Gefängnisses verzögert, bereite der SP zusätzlichen Kummer. Denn die Haftbedingungen in den Untersuchungsgefängnissen in St. Gallen seien desolat und nicht mehr zeitgemäss. So möchte die SP von der Regierung etwa wissen, wie lange die Altlastensanierung dauert und wann mit der Inbetriebnahme des modernisierten Gefängnisses – ursprünglich auf 2024 geplant – gerechnet werden könne. Die Sanierung werde ausserdem wohl mit erheblichen Kosten verbunden sein. «Die Gemeinden werden nicht in der Lage sein, dies zu bezahlen», sagt Surber. Schadstoffe landen im Grundwasser In der zweiten Interpellation fragt die Partei, ob und wo die Feuerwehr im Kanton St. Gallen mit PFAS-haltigen Chemikalien geübt hat, was dies für die Belastung des Grundwassers bedeutet und wie die Böden gereinigt werden können. Dabei verweist die SP auf aktuelle Beispiele aus dem Wallis, wo die Schadstoffe im Grundwasser des Rhonetals nachgewiesen wurden. Auch auf dem Brandübungsplatz der Lonza Werksfeuerwehr in Visp waren die giftigen PFAS-Schäume jahrelang zum Einsatz gekommen. Nun wird das Areal für 25 Millionen Franken saniert. Dafür muss der Boden ausgehoben und das kontaminierte Material tonnenweise in verschliessbaren Containern zu einem Spezialunternehmen nach Österreich verfrachtet werden. Dort wird es gewaschen und in Spezialöfen verbrannt.  Auch im Kanton Thurgau hat die Substanz ihre Spuren hinterlassen. Beim Grossbrand auf dem Firmengelände der Tobi Seeobst AG in Egnach versickerte im März 2018 fluortensidhaltiger Löschschaum auf einer Wiese. In der Folge musste der Kanton 3000 Tonnen Erde abtragen und im Ausland verbrennen lassen. Die Schutzmassnahme kostete rund eine halbe Million Franken.Feuerwehr: Zum Üben verboten, im Einsatz erlaubtDie Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit warnt seit letztem Jahr eindringlich vor PFAS. So sind bestimmte Verbindungen in der EU per Juli 2020 verboten worden. Auch in der Schweiz ist die Chemikalien-Risikoreduktions-Verordnung, die den Umgang mit besonders gefährlichen Stoffen regelt, revidiert und auf den 1. Januar 2021 angepasst worden. Die Feuerwehrkoordination Schweiz hat reagiert und ein Infoblatt zum Einsatz von Feuerlöschschäumen herausgegeben. «Seit diesem Jahr ist es verboten, mit fluortensidhaltigen Schaummitteln Feuerwehrübungen durchzuführen», sagt Benno Högger, Kommandant der Berufsfeuerwehr Stadt St. Gallen. Im Einsatz sieht es anders aus: «Fluortensidhaltiger Schaum ist bei gewissen Bränden schlicht nicht wegzudenken», sagt Högger. Nämlich dann, wenn alkoholhaltige Flüssigkeiten brennen wie bei Unfällen mit Tanklastwagen, Bahnzisternen oder bei Bränden in Industriebetrieben. Im Gegensatz zu herkömmlichem Schaum, der bei extremer Hitze «verdampft», bildet PFAS-Schaum einen Wasserfilm um die brennende Flüssigkeit, wodurch das Feuer erstickt. Die sogenannten AFFF-Schäume würden aber im Einsatzfall gezielt nach einer Risikoabwägung eingesetzt. «Wir setzen dann alles daran, dass das Schaumwassergemisch nicht in die Umwelt gerät», sagt Högger. Dennoch lasse sich das nicht gänzlich verhindern, weshalb die Feuerwehr bei solchen Einsätzen eng mit dem Amt für Umwelt zusammenarbeite. In Brandlöschtrainings ist die Substanz wohl auch andernorts im Kanton St. Gallen zum Einsatz gekommen. Ob etwa auch das Areal Hofen in Wittenbach und der Übungsplatz Buech in Rapperswil-Jona kontaminiert sind, wird sich zeigen.

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