22.05.2019

Zu zweit im Container zu Hause

Die 13 gilt zwar nicht als Glückszahl. Viviane Wisler und Fredi Niederer haben trotzdem vor, mit einer Wohnfläche von 13 Quadratmetern auszukommen. Es wird ihre erste gemeinsame Wohnung sein.

Von Gert Bruderer
aktualisiert am 03.11.2022
Eine Wohnung im Mini-Format.Sechs Meter lang, zwei Meter zwanzig breit und knapp drei Meter hoch.Es ist ein Container auf einem Unterbau, der einem Heuladewagen entstammt. Was früher als WC-Anlage gedient hatte und dann als Büro, wird jetzt von Viviane Wisler und Fredi Niederer mit grosser Leidenschaft ins neue traute Heim verwandelt.Das Wohnprojekt haben die beiden nicht etwa erarbeitet. Sie haben es als ein verschworenes Duo mit kindlichem Spass ausgeheckt und sich ein entschlacktes Leben ausgemalt – ein Leben, frei von überschüssiger Materie.Nicht blauäugig, sondern unbeschwertDer Gedankensturm dauerte fast ein Jahr. Das Zeichnen von Modellen, das Erfinden und Verwerfen, dieses ganze Durcheinanderwirbeln von Ideen war besonders abenteuerlich, weil all die Träumerei nicht in ein Luftschloss münden, sondern Konkretes hervorbringen sollte – eben ein Wohnprojekt.Natürlich geben sich die Pioniere eines Glücks, das der Genügsamkeit und tiefer Vertrautheit entspringt, nicht irgendeiner Verbissenheit hin. Nicht Blauäugigkeit, sondern Unbeschwertheit lässt Viviane Wisler mit einem Lachen sagen: «Das Ganze ist wirklich ein Experiment.» Sie sagt es überhaupt nicht so, als gäbe es Erwartungen zu dämpfen oder sich für eine Wunschvorstellung zu rechtfertigen.Der Satz klingt vielmehr so, als wäre der Versuch ein vielversprechendes und schönes Unterfangen, das sich mit Gelassenheit in Angriff nehmen lässt. Die beiden Lebenspartner sind ja nicht wie Akrobaten ohne Netz. Sie wissen, dass sie aufgefangen würden, wenn sie fallen sollten. Denn zur Not steht noch ein Haus bereit.Ein richtiges.Rundum besteht reichlich BallastDass der Versuch gelingt, ist allerdings gut vorstellbar. Denn Übung macht den Meister, und darin, sich in Bescheidenheit zu üben, haben Viviane Wisler und Fredi Niederer Erfahrung.Zwar ist Viviane Wisler die treibende Kraft. Aber ihr Partner sagt, die Idee finde er super. Er mag Experimente, und dieses besonders.Der 55-jährige ist Fachbereichsleiter am Gewerblichen Berufs- und Weiterbildungszentrum in St.Gallen, wo er Multimedia unterrichtet. Niederer erkennt nicht nur in seiner realen Umgebung reichlich Ballast, sondern mehr noch in der digitalen Welt. Die Bevorzugung wertvoller Materialien und eine kritische Haltung gegenüber der Wegwerfmentalität, gepaart mit gezielter Selbstbeschränkung, hält auch Fredi Niederer für sinnvoll.Gut 2000 Franken sind Viviane Wisler genugViviane Wisler, gelernte Krankenpflegerin aus dem Raum Zürich, die seit 17 Jahren in Walzenhausen lebt, zwei Ponys besitzt, als Reittherapeutin tätig ist und einen Morgen pro Woche für die Spitex wirkt, hat eine lebenskünstlerische Gabe. Drei Söhne haben sie und ihr früherer Mann grossgezogen, mit einem Einkommen von netto rund 4000 Franken.Das Geld habe bestens gereicht, sagt die 51-Jährige, ihr selbst würden heute gut 2000 Franken genügen.(Als Journalist muss man geradezu achtgeben, politische Hardliner nicht auf die Idee zu bringen, angesichts solcher Zufriedenheit unselige Sparübungen einzuleiten.)Klappbares Lavabo, Bett überm BüroDas Bauprojekt ist weit fortgeschritten.Der Boden ist unter Verwendung alter Bleche und isolierendem Sagex neu gemacht worden, die talwärts gerichtete Frontseite des Containers besteht aus schönen alten, doppelverglasten Fenstern von Frisco in Rorschach, ebensolche Fenster bringen viel Licht von der Seite her.Ganz hinten im Wagen befindet sich auf gut zwei Quadratmetern eine Vertiefung, die dem Einbau einer Toilette mit klappbarem Lavabo sowie eines Büros dient, darüber wird das einen Meter zwanzig breite, teilweise ebenfalls klappbare Bett installiert, unter dem Viviane Wisler und Fredi Niederer dank ihrer nicht übermässigen Körpergrösse gerade noch stehen können.Strom ist zwar vorhanden, die Anschlüsse waren schon da wie die acht Steckdosen, die kaum alle gebraucht werden dürften. Das Ziel sei es, irgendwann eine Solaranlage anzubringen, sagt Viviane Wisler – oder mit einer alten Autobatterie Strom zu erzeugen. Der wird unter anderem für einen Kronleuchter gebraucht, der allerdings zuerst zu finden ist.Zum Kochen und zum Heizen dient ein aller Holzkochherd, doch im Sommer wird eher ein Gasofen verwendet.Das einzige Manko: Fliessend Wasser hat die Wohnung keines, weshalb zum Duschen und Wäsche das Haus nebenan zu benützen ist, Fredi Niederers Elternhaus, dessen künftiger Verwendungszweck vom Erfolg des Container-Experiments abhängt.Ein Teil des Innenraumes wird erhöht sein, Viviane Wisler spricht von Podesten. Unter ihnen wird es Stauraum haben – Schubladen, die sich in zwei Himmelsrichtungen aufziehen lassen. Und natürlich wird es kleine Tischli geben, hergestellt aus alten Bauwagenbrettern.Lebensweise des Uropas im BlutEin Urgrossvater der Walzenhauserin war Fahrender. Sie sagt, sie habe seine Lebensweise, die Beschränkung auf das Wesentliche, wohl im Blut.Und siehe da: Auch auf die drei Söhne hat die Lebensweise abgefärbt. Einer von ihnen, Glenn Wisler, Zimmermann von Beruf, hat einen Bauwagen umgebaut und kreativ bemalt.Viviane Wislers zweitältester Sohn, der Landschaftsgärtner Lou, verwandelte einen Lieferwagen in ein Wohnmobil, mit dem er selbst, sein Bruder Glenn sowie ein dritter Musiker auf Tour sind, als Band mit dem Namen „Barefoot to the Moon“. Glenn Wisler sitzt am Schlagzeug, Lou Wisler ist am Bass, Janiss Klugmann singt und spielt Gitarre.Das wertvollste Gut, das Viviane Wisler durch ihre Selbstbeschränkung gewinnt, dürfte die Zeit sein. Sie begünstigt nicht nur die Pflege von Freundschaften, sondern ermöglicht auch besondere Erfahrungen wie den zwei Jahre zurückliegenden, einmonatigen Aufenthalt in Brasilien, wo Viviane Wisler für ein Hilfswerk Strassenkindern half.Mit dem Einzug in den Wohncontainer wird sich für Viviane Wisler ein Kindheitstraum erfüllen. Spinnt sie ihn weiter, hat sie das Bild einer Bauwagen-Siedlung als schöne Vorstellung vor Augen. Das ist aber kein ernsthaftes Thema, es geht derzeit nur um das vorzubereitende Experiment.Unabhängig von seinem Ausgang, ist Viviane Wisler überzeugt: „Wer weniger hat, ist weniger gestresst.“Vorausgesetzt natürlich, es ist nicht zu wenig.

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