05.05.2021

Zivilschutz-Kontrolleure im Keller

Alle zehn Jahre werden die Schutzräume überprüft. Schliesslich sollen sie etwas nützen, sollte man sie irgendwann tatsächlich brauchen.

Von Max Tinner
aktualisiert am 03.11.2022
Manche lagern darin ihren Wein. Andere ziehen sich dorthin zurück, um an ihrer Eisenbahnlandschaft en miniature zu bauen. Eigentlich hat der Raum mit den dicken Betonwänden und der gefühlt tonnenschweren Tür im Untergeschoss vieler Häuser aber einen anderen Zweck: Er ist als Schutzraum gebaut worden, in erster Linie für den Fall, dass Krieg ausbricht und ein Bombenangriff droht. Auch bei Katastrophen oder Notlagen jeglicher Art soll die Bevölkerung in Schutzräumen Zuflucht finden können. Dass es so weit kommen könnte, mag man in der heutigen Schweiz zwar kaum mehr für möglich halten. Der Grundsatz, dass es für jede Einwohnerin und für jeden Einwohner einen Platz in einem solchen öffentlichen oder privaten Schutzraum gibt, gilt aber nach wie vor. Landesweit gibt es rund 360 000 Personenschutzräume, hält das Bundesamt für Bevölkerungsschutz auf seiner Website fest. Sollen sie ihren Zweck erfüllen können, wenn es denn einmal so weit kommen sollte, dass man sie braucht, müssen sie instandgehalten werden. Dafür verantwortlich sind die Eigentümerinnen und Eigentümer der Häuser.Kontrollaufgabe von der Region zum Kanton verschobenDass sie es auch tun, wird regelmässig kontrolliert. Früher waren im Kanton St. Gallen die Kontrolleure den regionalen Zivilschutzorganisationen unterstellt. Mit der Reorganisation des Zivilschutzes wurden Aufgaben und Kontrollen dem Kantonalen Einsatzelement KEE zugeteilt. Die letzten Wochen waren solche Spezialisten für die Periodische Schutzraumkontrolle im Werdenberg und im Rheintal unterwegs. In Montlingen durften wir den Kontrolleuren Pascal Zeller und Marco Ellensohn bei einer Schutzraumkontrolle über die Schulter schauen. Zeller ist aus Berneck, Ellensohn aus Widnau. Kompaniekommandant Marco Bischof bietet für die Kontrollen nach Möglichkeit dafür ausgebildete Zivilschützer aus der Region selbst auf.Rund 30000 Schutzräume gebe es im Kanton, erklärt Bischof. Der Bund schreibt vor, dass sie mindestens alle zehn Jahre zu kontrollieren sind. Um diesen Rhythmus einhalten zu können, müssen im Kanton also um die 3000 pro Jahr kontrolliert werden. Dabei halten sich die Kontrolleure an die Checkliste in einem Reglement des Bundes. Da und dort zeigt sich, dass die Kontrollen halt doch nötig sind, auch in diesem Haus in Montlingen. Schon beim Eintreten in den Schutzraum sehen Zeller und Ellensohn, dass die Dichtung rund um die Panzertür fehlt. Vorhanden ist sie aber und kann darum gleich in die Nut gedrückt werden. Pascal Zeller behandelt sie grad noch mit einem Silikonpflegemittel. Es ist ein Standardprodukt, mit dem beispielsweise auch Autotürdichtungen behandelt werden, damit sie nicht spröde werden. Solche kleineren Reparaturen und Unterhaltsarbeiten erledigen die Kontrolleure gleich selbst, wenn der Hauseigentümer damit einverstanden ist.Kleinere Mängel werden von den Kontrolleuren grad behoben: Pascal Zeller behandelt die Panzertürdichtung mit einem Pflegemittel, damit sie nicht spröde wird.Doch in Montlingen stellen sie noch weitere Mängel fest, die nicht unmittelbar behoben werden können. So klafft grad neben der Türöffnung ein durch die Mauer durchgehendes kreisrundes Loch. So kann der Schutzraum seine Funktion nicht erfüllen – ein Schutzraum muss gasdicht gebaut sein. Das Loch braucht’s zwar schon. Was darin aber fehlt, ist das Überdruckventil. Wird bei geschlossener Panzertür der Schutzraum über ein Ventilationsaggregat mit gefilterter Frischluft versorgt, verhindert besagtes Ventil, dass sich im Schutzraum ein zu starker Überdruck aufbaut.Allerdings fehlt in diesem Schutzraum nicht nur das Überdruckventil, sondern das Ventilationsaggregat grad auch noch. Weil es in der Mauer keine Schraubenlöcher hat, ist sich Marco Bischof sicher, dass die Bauteile nicht einfach entfernt wurden, weil sie den Bewohnern womöglich im Weg gewesen wären, sondern dass sie gar nie eingebaut worden sind. Und dies, obwohl das Haus schon über 25 Jahre alt ist. Übersehen worden ist dies bei früheren Kontrollen kaum. Wahrscheinlicher ist, dass die Mängel zwar beanstandet worden sind, ihre Behebung aber nicht durchgesetzt worden ist. Dies werde nun geschehen, erklärt Marco Bischof. Weil sich keine akute Bedrohung abzeichne, sei das übliche Vorgehen, dass kleinere Mängel bei der nächsten Kontrolle in zehn Jahren behoben sein müssen, gröbere Mängel hingegen schon innert einem halben Jahr, was mit einer Nachkontrolle überprüft werde. Dass man wegen seines Weinlagers oder seiner Modelleisenbahn im Schutzraum gerügt wird, braucht niemand zu fürchten. Ihn so oder auch schlicht als Lagerraum zu nutzen, ist durchaus erlaubt. Allerdings muss der Schutzraum innert fünf Tagen ausgeräumt und betriebsbereit gemacht werden können, hält Thomas Schläpfer von der Abteilung Bevölkerungsschutz im Amt für Militär und Zivilschutz des Kantons St. Gallen fest. Schutzraumbauteile wie das Belüftungsgerät oder den Notausstieg darf man auch nicht mit Hausrat verstellen, so dass die Kontrolleure der Periodischen Schutzraumkontrolle nicht mehr dazu kommen. Und während man vielleicht in der Wohnung kurzerhand ein Loch durch die Wand bohren würde, um eine Leitung von einem Raum in den benachbarten zu legen, darf man die Mauer des Schutzraums nicht ohne behördliche Bewilligung durchbohren.Im Grossen und Ganzen gebe es nicht viel auszusetzen, erzählen die Kontrolleure. Wenn Mängel festgestellt würden, seien es meist nur kleinere, mehrheitlich in Häusern jüngerer Eigentümer, die sich der Vorschriften  nicht mehr so bewusst seien wie ältere, die ihr Haus zu einer Zeit bauten, als man dem Bau von Schutzräumen besonders grosses Gewicht beimass.Nicht nur Private vergessen, wozu Schutzräume da sindMit den periodischen Schutzraumkontrollen soll den Hauseigentümern nicht zuletzt auch in Erinnerung gerufen werden, dass ihre Schutzräume einen Sinn haben, selbst wenn die Zeit des Kalten Kriegs vorbei ist. Das Verständnis dafür droht nicht nur Privatpersonen abhanden zu kommen: Marco Bischof weiss von einem öffentlichen Schutzraum unter einer Turnhalle, aus dem eine Schutzwand herausgebrochen wurde, um ihn für einen Verein trainingstauglich zu machen. Sollte die Wiederherstellung nicht möglich oder unverhältnismässig sein, wird wohl die Aufhebung des Schutzraums verfügt werden, denkt er. Die betreffende Eigentümerschaft hätte in diesem Fall einen Ersatzbeitrag zu leisten.Heute müssen nicht mehr alle einen bauenIn den letzten 50 Jahren sind Schutzräume für mehr oder weniger die ganze heutige Wohnbevölkerung gebaut worden. Weil die Einwohnerzahl aber nach wie vor wächst und der Grundsatz, dass es für jede Einwohnerin und für jeden Einwohner einen Schutzraumplatz geben soll, nach wie vor gilt, müssen weiterhin noch Schutzräume gebaut werden. Namentlich beim Bau von Wohnüberbauungen ab 38 Zimmern oder beim Bau von Spitälern oder Heimen. Hingegen muss heute in der Regel keinen Schutzraum mehr bauen, wer lediglich ein Einfamilienhaus baut. Man hat dann aber einen Ersatzbeitrag zu bezahlen. Solche Ersatzbeiträge werden für den Bau öffentlicher Schutzräume und für die Erneuerung bestehender öffentlicher oder auch privater Schutzräume verwendet. In welchen Schutzraum man muss, erfährt man, wenn’s drauf ankommtSchon etwas ältere Leserinnen und Leser erinnern sich vielleicht an Plakate in Häusern ohne eigenen Schutzraum, auf denen vermerkt war, welchen Schutzraum die Bewohnerinnen und Bewohner gegebenenfalls hätten aufsuchen müssen. Diese Plakate seien im Zuge der letzten grossen Gesamtverteidigungsübungen Dreizack 1986 und 1989 aufgehängt worden, weiss Thomas Schläpfer. Heute, im Zeitalter des Computers, brauche es sie nicht mehr. Eine Schutzplatzzuweisungsplanung gebe es zwar nach wie vor. Sie könne sich aber über die Jahre immer wieder ändern, weil sich auch die Dörfer und Städte laufend änderten.Es gibt noch einen weiteren guten Grund, weshalb man heute keine solche Plakate mehr in den Häusern aufhängt. Damals, als man es noch tat, sei nämlich längst nicht jeder mit der Schutzplatzzuweisung einverstanden gewesen, sagt Marco Bischof. Jedenfalls so mancher, der keinen Platz in einem öffentlichen, sondern in einem privaten Schutzraum zugewiesen bekam. Man darf annehmen, dass dies heute nicht viel anders wäre.

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