02.02.2021

«Zeitweise liefen wir auf dem Zahnfleisch»

Die neu gegründete Zivilschutzorganisation RZSO Rheintal schaut auf ein intensives Jahr mit 524 Einsatztagen zurück.

Von Reto Wälter
aktualisiert am 03.11.2022
Reto WälterDer Sinn und Zweck des Zivilschutzes wird so definiert: Der «Schutz der Bevölkerung vor natur- und zivilisationsbedingten Katastrophen und anderen Notlagen» in der Schweiz wird im Wesentlichen durch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und die nachgeordnete Zivilschutzorganisation geleistet.Der Zivilschutz ist als Einsatzmittel der zweiten Staffel (nach Feuerwehr, Polizei und Gesundheitswesen/Rettungsdienst) vorgesehen.Dank Vorausplanung ab dem Start paratDie kantonsweite Reorganisation des Zivilschutzes bedeutete die Verkleinerung von 20 auf acht Organisationen. Seit Anfang 2020 gibt es für das Gebiet von Lienz bis St. Margrethen nur noch eine Zivilschutzorganisation, die RZSO Rheintal. Gleichzeitig wurden jahrzehntealte Fahrzeuge und Geräte ersetzt sowie Lager- und Standorte neu ein- und aufgeteilt.Mit der Pandemie trat gleich im ersten RZSO-Jahr ein Ernstfall auf. Da man aber schon 2018 mit der Planung der neuen Organisation begonnen hatte, 2019 die Feinheiten organisierte, neue Führungsstrukturen erstellte sowie die Ämter besetzte, war die RZSO für das ausserordentliche Ereignis Covid-19 parat. «Es hat sich als hilfreich erwiesen, dass seit Planungsstart alle Beteiligten involviert waren, sich alle kannten und alle mit den neuen Strukturen vertraut waren», sagt RZSO-Kommandant Robert Brocker.Zwar seien viele Details wie Behelfe und Dokumentationen noch nicht angepasst – und ein grosser Teil der Mannschaft habe er noch nicht einmal gesehen. Die Kommunikation erfolgte schriftlich oder per Newsletter, ausser bei denen, die wegen der Pandemie im Einsatz standen. Nicht durchgeführt werden konnten Wiederholungskurse. Sie wären aber wichtig gewesen, um die Mannschaften an den neuen Geräten auszubilden.Priorität hatte, für einen Einsatz bereit zu seinAber es war möglich, die Einsatzbereitschaft für ausserordentliche Ereignisse sicherzustellen. Die Kader wurden aufgeboten und mit den neuen Strukturen vertraut gemacht. Sie lernten St. Margrethen kennen, das von der früheren Zivilschutzorganisation Am Alten Rhein zur RZSO stiess. Neue Materialstandorte wurden gezeigt, Geräte vorgestellt. «Als Nachteil der neuen Organisation stellte sich heraus, dass durch die grösseren Distanzen im erweiterten Gebiet für alles mehr Zeit eingeplant werden muss», sagt Brocker.Wegen der pandemiebedingten Sicherheitskonzepte musste 2020 vieles neu aufgegleist werden. Instruiert wurden die Gruppenführer in kleinen Einheiten. Für das Kennenlernen und Probieren der neuen Maschinen gab es einen Postenlauf. Dazu gehörten die Kompressoren, die als Notstromaggregate gebraucht werden können und an Maschinen wie Plasmaschneidgeräte, Pumpen, Schlaghämmer und Bohrer gehängt werden können.«Gerade in dieser Zeit könnte es mit Schneeschmelze und Regen zu Überschwemmungen kommen und so zu einem Notfalleinsatz. Ich bin froh sagen zu können, wir sind einsatzbereit und haben genug Leute, die die Geräte bedienen können», sagt Kommandant Brocker. Es werde versucht, 2021 die Mannschaften auch noch auszubilden. Vorerst gilt: Bis Ende August dürfen keine regulären Wiederholungskurse durchgeführt werden.Corona forderte den Zivilschutz extrem Über allem stand im Startjahr der RZSO Rheintal die Corona-Pandemie und damit verbundene Einsätze. Neu war etwa die Dauer: Üblicherweise ist der Zivilschutz ein, zwei Tage vor Ort. «Selbst in Ausnahmefällen wie einmal bei Sturmschäden in Altstätten und Eichberg, wo es verschiedene Schadenplätze beinhaltete, dauerten die Arbeiten inklusive Aufräumen nicht länger als eine Woche», erinnert sich Brocker. Die zweite Welle forderte den Zivilschutz stärker als die erste. Von 524 Diensttagen wurden von März bis zu den Sommerferien 132 geleistet. Während dieser Zeit organisierte der Zivilschutz die Triage der Patienten vor dem Spital Altstätten.So stellte er sicher, dass keine Corona-Verdachtsfälle das Spitalgebäude betraten. Und er tätigte nötige Vorabklärungen. «Dabei bewährte sich erstmals unser neues, aufblasbares Zelt, das schnell und unkompliziert aufgestellt wurde», schaut der Kommandant zurück. Auch in die Zeit der ersten Welle fiel die Verteilung von über 12000 Hygienemasken und rund 2500 Schutzmänteln. Sie wurden im Voraus abgepackt und dann Ärzten, Spitex-Mitarbeitenden und dem Personal von Behinderteninstitutionen sowie Alters- und Pflegeheimen abgegeben. Auch betreute der Zivilschutz eine Zeit lang an den Wochenenden eine Hotline, die sonst die Gemeinden unterhalten. In der Zwischenzeit war der Zivilschutz auch bei den Aufbauarbeiten der Freilichtbühne Rüthi beschäftigt.Knappe Ressourcen während zweiter WelleDas RZSO-Personal half während der zweiten Welle auch in St. Gallen beim Contact-Tracing aus. Wirklich fordernd aber war es, genug Leute für die Einsätze in den Altersheimen zu finden. Zuerst, Anfang November, ersuchte Diepoldsau um Hilfe, danach Widnau, Rebstein und die Altstätter Altersheime Blumenfeld und Viva sowie das Spital. Dort war der Einsatz erst vor Kurzem beendet worden. «Es dauerte jeweils etwa zwei bis drei Wochen, bis wieder genug Angestellte vor Ort waren, sie die Infektion überwunden oder die Quarantänezeit abgesessen hatten», sagt Robert Brocker. Nur seien die Anfragen nicht gestaffelt gekommen, sondern Hilfe sei zeitlich überlappend gebraucht worden.Es habe nicht mehr gereicht, Zivilschutzdienstleistende zu bitten, sich zum Dienst zur Verfügung zu stellen. «Die Dienstpflichtigen mussten begründen, wieso sie nicht aufgeboten werden können», sagt Brocker. So hat sich der Pool der Verfügbaren schnell verkleinert. Manche Arbeitgeber waren aufgrund von Ausfällen selber in Personalnot. Dazu kam, dass prädestinierte Zivilschützer selber im Pflegebereich tätig sind. Andere wiederum befanden sich in Quarantäne oder gehören einer Risikogruppe an – was mit ein Grund war, dass sie einst nicht militärpflichtig waren.«Wir lernten daraus, dass das Kontingent, das auf dem Blatt steht, nur eine theoretische Zahl ist, die nicht der Praxis entspricht», sagt Brocker. Die RZSO leistete von September bis Ende Jahr 392 Diensttage. Dabei griff man auch auf Arbeitslose zurück. «Zeitweise liefen wir auf dem Zahnfleisch», sagt Brocker.Zurückgegriffen auf fachfremde DiensteMit der Reorganisation des Zivilschutzes ging die Verkürzung der Dienstzeit von 20 auf zwölf Jahre einher, allerdings korrigierte dies der Bundesrat dann auf 14 Jahre. «Gerade die jetzige Situation zeigt, dass man Menschen nicht überall durch Technik ersetzen kann. Stärker reduziert werden darf das Personalkontingent auf keinen Fall», warnt der Kommandant und begründet weiter: «Wir sind schon jetzt darauf angewiesen, dass manche Führungskräfte freiwillig länger Dienst machen.»Auch in den letzten Monaten musste man auf Leute – wie etwa die Pioniere – zurückgreifen, die eigentlich für Einsätze an Objekten und im Gelände ausgebildet sind. Brocker dazu: «Sie konnten sehr wohl die Fachkräfte entlasten, indem sie Essen verteilten oder Leute unterhielten.» So konnte sich das übrige Pflegepersonal auf die fachspezifischen Arbeiten konzentrieren.Positiv für die Akzeptanz des Zivilschutzes Robert Brocker, der seit 30 Jahren für den Zivilschutz arbeitet und seit 1998 Kommandant ist, sagt, er habe noch nie eine so intensive Zeit erlebt. Auch, weil viele kleine Einheiten an unterschiedlichen Orten unterwegs waren und die Rekrutierung aufwendig war.Allerdings lobt der 52-Jährige dann gleich wieder die neue Notrufzentrale, die sich bewährt habe, da nach verschiedenen Kriterien Gruppen zusammengestellt und aufgeboten werden können. Und meint über die intensive Zeit: «Schliesslich gibt es uns ja genau für eine solche Situation, wie wir sie jetzt haben.» Er dürfe sagen, die Rückmeldungen von den Einsatzorten seien stets positiv gewesen. «Etwas gedauert hat es manchmal, bis der Kanton die Aufgabenbereiche definiert hatte. Die Umsetzung klappte dann speditiv und reibungslos.» Brocker weiter: «Ich glaube mit den Einsätzen konnten wir ein positives Image von uns vermitteln.»Ebenfalls erfreut ist er über die Zusammenarbeit intern und mit den Partnern, etwa Gemeindedienste und Feuerwehren. Als abschliessendes Fazit über das spezielle erste Jahr der Organisation RZSO Rheintal sagt Robert Brocker: «Es hatte positive Seiten, dass wir gleich von Anfang an anders funktionieren mussten als sonst und rasch umdenken und -planen mussten.» Das habe neue Sichtweisen eröffnet, die für das weitere Bestehen der RZSO sicher nur von Vorteil seien.

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