13.11.2020

Zeit der Ernte

Der Herbst ist Erntezeit. Doch was ernten Menschen, die nicht mit der Natur schaffen, sondern mit Waren oder anderen Menschen? Vor Corona fiel die Ernte als Bonus aus, als Trinkgeld, ein Lächeln.

Von Andrea Hofacker
aktualisiert am 03.11.2022
Ein Dankeschön kann eine Ernte sein, wenn ein Kind endlich die Grundrechenarten begreift, oder eine alte Frau der Spitex dankbar ist für ihre Unterstützung. Diese Ernten sind der Kitt der Gesellschaft. Kleine Gesten der Verbundenheit erhalten unsere Netzwerke, unsere Gemeinschaft im Dorf und im Land. Das fehlt im Moment an allen Enden.Was ernten wir also, während so vieles wegfällt? Ich denke wir ernten Zeit. Zeit, um die Ernte unseres Lebensabschnittes oder vielleicht sogar unseres ganzen Lebens auszusäen, zu pflegen oder auszurichten. Es ist an der Zeit, sich zu fragen, was unser Leben bestimmen soll, was Leben ausmacht, und vielleicht auch, wie es trotz und nach Corona einen anderen Sinn bekommen kann. Was ist der Sinn meines Lebens? Woran glaube ich? Wem vertraue ich? Welche Menschen und Themen spielen in meinem Leben eine grosse Rolle? Wem bin ich zugetan, wen habe ich geliebt? Wie habe ich meine Entscheidungen getroffen? Habe ich auch auf die anderen geachtet? Und auf mich selbst? War ich auch gut zu mir? Wahrscheinlich hat jede und jeder von uns sich einige dieser Fragen schon einmal gestellt und für sich beantwortet, andere noch nie bedacht. Zeiten der Krise, wie wir sie im Moment erleben, können für solche Fragen, die sich auf das Wesentliche des Lebens berufen, entscheidend sein. Sie machen uns dünnhäutig, aber sie öffnen uns auch für das, was wirklich zählt. Für das, was wir vielleicht hinterlassen wollen, wenn es einmal ans Sterben geht. Was gut, was schlecht ist – und was vielleicht auch einfach nicht oder nicht mehr zu ändern ist. Die Themen, die Menschen, Dinge, denen wir uns mit Leidenschaft zugewandt und gewidmet haben, die werden uns am Ende unseres Lebens ausgemacht haben. Unsere Hingabe macht unser Leben reich. Sie wird es auch überdauern.Im Johannesevangelium sagt Jesus: «Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht. Wer sein Leben liebt, verliert es; wer aber sein Leben in dieser Welt geringachtet, wird es bewahren bis ins ewige Leben.» (Joh 12, 25)Wollen wir ein Leben in Gemeinschaft, eins das mehr wird durch andere, reicher durch unseren Nächsten, unsere Nächste, oder wollen wir geizig auf unserem Leben sitzen und mit niemandem teilen? Ich bin Gott dankbar dafür, dass er uns mit Jesus einen Menschen geschickt hat, der uns gelehrt hat, so mit unserem Leben umzugehen, dass es am Ende eine Ernte geben kann, einen Sinn. Andere Menschen mögen ihre Ernte mit anderen religiösen Vorstellungen einfahren, oder mit philosophischen, aber für mich wird der Weg zu dieser Ernte immer über meine Religion, über das Christentum führen.Andrea Hofacker, Pfarrerin in Marbach

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