14.06.2022

Zehn Jahre zu früh auf der Welt

Jennifer Hohl war eine der besten Rennfahrerinnen im Land. Nur zu gerne hätte sie eine Tour de Suisse bestritten.

Von Daniel Good
aktualisiert am 02.11.2022
Sie ist immer noch jung. Im Februar wurde sie 36-jährig. Aber vor knapp zehn Jahren – nach der WM 2012 – war Schluss mit der Karriere als Radprofi. Obschon Jennifer Hohl aus Rebstein gerade zum vierten Mal Schweizer Meisterin geworden war. Die Championne aus dem Rheintal wollte sich nicht mehr bei jedem Wetter schinden. Denn die Rennfahrerei ist mit einem grossen Trainingsaufwand verbunden. Zudem bewegte sich der Radsport der Frauen zu Hohls Aktivzeit nahe der Anonymität. Die Verdienstmöglichkeiten waren gering. Eine Tour de Suisse für Frauen wie heutzutage stand noch in weiter Ferne. «Nur zu gerne hätte ich einmal eine Rundfahrt durch die Schweiz bestritten», sagt Hohl. Am nächsten Montag ist sie auf jeden Fall als Zuschauerin Zaungast, wenn der Tross den Stoss überquert. Sie ist diesen Pass Hunderte Male hochgefahren. «Für Frauen ist der Stoss schon noch streng, vor allem wenn von Beginn an ein hohes Tempo angeschlagen wird», sagt sie.Als sie zurückblickte, war die Leaderin am HinterradMit ihrer Klasse von damals wäre für Hohl heute ein Etappensieg möglich. Zu ihrer Profizeit hätte sie auch das eine oder andere Rennen mehr gewinnen können. Aber meistens waren ihr die Hände gebunden. Denn sie war fast immer als Helferin unterwegs. «Einmal am Giro d’Italia fand ich Unterschlupf in einer Spitzengruppe. Ich machte mir schon Hoffnungen. Aber dann schaute ich nach hinten und sah meine italienische Teamleaderin Noemi Cantele. Das war natürlich das Ende meiner Chancen. Ich musste während 20 Kilometern Tempo für sie bolzen.» Immerhin gewann Cantele die Etappe.Hohl verbindet fast nur schöne Erinnerungen mit dem Radsport. «Ich habe so jung die ganze Welt gesehen. Einmal bin ich für nur ein Rennen nach Australien geflogen.» Das war 2011, als sie ihre achte von neun Weltmeisterschaften bestritt. 2008 war Hohl als junge Rennfahrerin Olympiateilnehmerin in Peking, aber sie stürzte. «Ich habe viele schöne Gegenden und interessante Leute kennen gelernt. Das wäre ohne den Sport auf keinen Fall möglich gewesen.» Manchmal reisten die Eltern im Wohnmobil mit. Bis nach Schweden. Insgesamt bestritt Jennifer Hohl sieben Saisons als Profi. Hohls Stern ging auf, als sie 2004 als Juniorin am Schellenberg bei Ruggell der Elite um die Ohren fuhr. Sie kannte jeden Meter des Aufstiegs. Der Exploit im Fürstentum trug ihr einen Vertrag als Berufsfahrerin ein. Heute kommt Hohl nicht mehr so oft aufs Velo. Mit Ermanno Capelli hat sie zwei Töchter, drei- und sechsjährig. Die Familie wohnt im Eigenheim in Rebstein mit Blick aufs Tal. Capelli war ebenfalls Profi. Kennen gelernt hat man sich 2009 beim Velofahren in der Toskana. 2011 wurde geheiratet.Der Ehemann ist ein ehemaliger VeloprofiSie schauen im trauten Heim gerne Velorennen vor dem Fernsehgerät. Am liebsten Klassiker wie Paris–Roubaix und die Flandern-Rundfahrt. Das Rennen in Belgien bestritt Jennifer Hohl schon als junge Frau zum ersten Mal. An der Seite der Olympiasiegerin Zulfia Zabirowa, einer äusserst tempofesten Kasachin. «Sie sagte mir, dem Neuling, bleib einfach immer an meiner Seite.» Kontakt mit ehemaligen Mitstreiterinnen hat sie noch, aber meistens viral.Beschäftigt ist das Ehepaar bei der in Rebstein domizilierten Brauerei Sonnenbräu. Er als Chauffeur, sie im Büro. Tour de Suisse der Frauen in der RegionAb Samstag rollt die Tour de Suisse der Frauen durchs Land – in vier Etappen von Vaduz nach Lenzerheide. Die Kantone St. Gallen und beide Appenzell kommen am Montag, 20. Juni, im Verlauf des dritten Teilstücks zum Zug, wenn es via Altstätten über den Stoss nach Appenzell geht. Das Ziel der dritten Etappe ist in Chur. Die hierzulande bekannteste Teilnehmerin stammt aus der Ostschweiz: Die 29-jährige Mountainbike-Olympiasiegerin Jolanda Neff aus Thal, wohnhaft in Goldach. Sie ist auch eine gute Strassenfahrerin mit Stärken am Berg. (dg)

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