07.12.2018

«Wurzeln – mehr brauche ich nicht»

Das Amt für Kultur Appenzell Ausserrhoden suchte die besten Texte beim Schreibwettbewerb «Literaturland». Ruth Weber-Zellers Geschichte einer dementen Frau gewann den Publikumspreis.

Von Benjamin Schmid
aktualisiert am 03.11.2022
Benjamin Schmid«Das Essen ist gut. Es gibt Fleisch und Gemüse und auch Salat. Am Nachmittag Kuchen und manchmal Glacé.» So beginnt die von Ruth Weber-Zeller verfasste Geschichte «Wurzeln – mehr brauche ich nicht». Damit gewann die Walzenhauserin kürzlich den mit 4500 Franken dotierten Publikumspreis. Im Mai hat das Amt für Kultur von Appenzell Ausserrhoden den Schreibwettbewerb zum Zitat von Peter Morger «Ich wäre überall und nirgends» ausgeschrieben. Er richtete sich an Jugendliche und Erwachsene. Aus über 20 Einsendungen hat die Fachjury die besten sieben Texte ausgewählt, welche an zwei Lesungen einem Publikum vorgetragen und dann prämiert wurden.Überall und nirgendsEher zufällig sei die 47-Jährige zum Schreiben gekommen. Vor drei Jahren nahm sie an einem Schreibwochenende für Frauen teil und entdeckte ihre Passion für Gedichte und Kurzgeschichten. Widmete Weber-Zeller ihre ersten Schreibversuche der Lyrik, fand sie nach und nach Gefallen an prosaischen Texten. «Vor allem der spielerische Umgang mit der Sprache fasziniert mich», sagt sie und ergänzt: «Beim Entwickeln einer Geschichte sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt.» Die im Gesundheitswesen tätige Familienfrau sieht im Schreiben die Möglichkeit, sich mit dem Leben auseinanderzusetzen und sich und ihr Umfeld zu reflektieren. «Zwei, drei Sätze genügen, und wir sind mitten drin – im Text und im Leben einer Ich-Erzählerin, die am Ende ihres Lebens angelangt ist», würdigte die Jury die Kurzgeschichte. Die Protagonistin beschreibt ihren Alltag, um im nächsten Augenblick zurück in ihre Vergangenheit zu reisen. Der Leser begegnet ungelösten Konflikten der alten Dame, erlebt schöne Momente vergangener Zeiten und ist Teil ihrer Einsamkeit und Desorientierung. Erst allmählich merkt der Leser, dass sich die Gedanken der Frau im Kreise drehen. Die Leserschaft begleitet die Protagonistin auf ihrer Reise in die Tiefen ihrer Erinnerung, um an anderer Stelle unvermittelt wieder an der Oberfläche der Gegenwart aufzutauchen. «Die Dame erfährt viele Verluste und fühlt sich nirgends dazugehörig», sagt Ruth Weber-Zeller, «während sich ihre Gedanken entfalten.» Die Autorin zeichnet ein Bild einer Frau, die zeitlebens um ihre Stelle in der Gesellschaft kämpfen musste und sich im hohen Alter Gedanken über den Sinn und die Bedeutung des Lebens macht. Ihre von der Demenz geprägten Erinnerungsfetzen widerspiegeln eine Welt ohne Wurzeln.Mit einfachen Worten und präzisen Sätzen ruft die Autorin die Atmosphäre im Altersheim hervor und nimmt den Leser mit in die vernebelte Gedankenwelt der alten Dame. Die Gedanken pendeln zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Geborgenheit und Einsamkeit und zwischen Freude und Trauer. Ruth Weber-Zeller versteht es, situative Lebensumstände so zu beschreiben, dass die Leser nahe bei der Protagonistin sind, ihre Gefühle und Gedanken nachvollziehen und verstehen können.Königsdisziplin der Literatur«Ich hätte niemals mit dieser Ehre gerechnet», sagt Ruth Weber-Zeller. Nur wenige Personen wussten von ihrer Leidenschaft fürs Schreiben, daher gab es zahlreiche Rückmeldungen überraschter Freunde und Kollegen. «Mit dem Veröffentlichen von Texten setzt man sich unweigerlich der Kritik der Öffentlichkeit aus», sagt die Walzenhauserin. Umso schöner sei es, wenn der Text beim Publikum ankommt und die Mühen dadurch Wertschätzung erfahren. Jedoch schreibe sie nicht wegen den Leserreaktionen, sondern aus Freude.In den letzten drei Jahren hat Ruth Weber-Zeller über 70 Gedichte verfasst, welche sie aktuell sichtet und aussortiert. «Ich hoffe, dass ein Verlag die besten Gedichte als Gedichtband veröffentlichen wird», sagt die Autorin und ergänzt: «Sonst arbeite ich am Konzept für einen Roman.» Es sei immer schon ihr Ziel gewesen, einzelne Handlungsstränge zu einer längeren, stimmigen Geschichte zu verweben.

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