10.11.2018

Worte wie Waffen

Von Manuela Schäfer
aktualisiert am 03.11.2022
Susanne verschlägt es den Atem. Sie steht in ihrem Büro. Ein heftiger Wortwechsel mit ihren Kollegen war vorausgegangen. Das Herz rast. Tränen steigen in die Augen. Die Worte sind nur so auf sie eingeprasselt. Sie haben sie tief im Innern getroffen, wie Pfeile. Ein geplanter Angriff, der weh tut. Susanne fühlt sich wehrlos. Die anderen sind so stark. Sie haben alles, Worte wie Waffen und sie tragen eine Rüstung aus Macht und Selbstbewusstsein, die sie unangreifbar zu machen scheint. Susanne meint, nichts an sich zu haben, was ihnen Widerstand bieten könnte. Sie zielt nicht so treffsicher mit Worten, die andere einschüchtern können. Die Frage ist, ob sie das überhaupt will. Aber eines möchte sie lernen: Solchen Attacken besser Stand zu halten.«Werdet stark im Herrn und in der Kraft, die von seiner Stärke ausgeht!» (Eph 6, 10).In den nächsten Wochen übt Susanne. Sie richtet ihren Körper auf. Ihr Atem stockt nun nicht mehr, sondern fliesst und schickt einen Strom von Kraft in alle Zellen. Sie stellt sich vor, wie ein unsichtbarer Schutzraum sie umgibt. Sie kann diese Energie um sie herum förmlich spüren. Ihre Rüstung kann sie mit Gesten anziehen, es aber auch nur mit dem inneren Auge vollziehen, in ih­- rer Vorstellung. Der Schutzmantel liegt bereit, sie muss nur zugreifen. Hier ist ihre Grenze. Niemand darf diesen Bereich durchdringen, ohne dass sie das möchte. Nein, sie möchte nicht völlig abgeschottet leben, denn dann würde auch das Schöne nicht mehr zu ihr vordringen. Aber sie bestimmt, was sie an sich heran lässt. Es gibt Menschen, die ihre Grenzen nicht achten. Solche wird Susanne in ihre Schranken verweisen und klar Stellung beziehen. Sie trainiert und ruft laut: «Nein! Stopp!» Am Anfang kommt ihr das seltsam vor. Aber sie ist nicht mehr das kleine, liebe Mädchen, das niemandem widerspricht. Sie merkt, dass sie damit die anderen Stimmen, die sie angreifen und klein machen wollen, in ihre Schranken verweisen kann. «Seid also standhaft: Gürtet eure Hüften mit Wahrheit, zieht an den Panzer der Gerechtigkeit, empfangt den Helm der Rettung.» (Epheserbrief Kap 6, Vers 14. 17a).Susanne steht mit beiden Beinen fest und locker auf dem Boden. So hat sie Spielraum, wenn sie gestossen wird, fällt aber nicht um. Die Wahrheit ist auf ihrer Seite, sie hat sich nichts vorzuwerfen. Das heillose Karussell in ihrem Kopf, das die Gemeinheiten unablässig wiederholt hat, stoppt. Die Angst hat keine Macht mehr über sie. Sie fühlt sich im Inneren warm und wohl in der heilsamen und stärkenden Gegenwart Gottes. Das sieht man ihr an. Manuela SchäferPfarrerin in Berneck

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