26.03.2022

Wo die Bevölkerung im Notfall Schutz findet

Der Krieg in der Ukraine und die atomare Bedrohung gegen den Westen werfen auch im Appenzellerland Fragen zu Schutzmöglichkeiten auf – ein Gespräch mit Marc Rüdin, Leiter Amt für Militär und Bevölkerungsschutz Appenzell Ausserrhoden.

Von Ramona Koller
aktualisiert am 02.11.2022
Ramona Koller Wie würde die Ausserrhoder Bevölkerung im Notfall darüber informiert werden, wo sie Schutz findet?Marc Rüdin: Für die Zuteilungsplanung der Schutzräume, kurz Zupla genannt, ist der Kanton verantwortlich. Im Notfall würde eine Online-Abfrage aufgeschaltet, über die jede und jeder in Ausserrhoden, basierend auf seiner Wohnadresse, den zugewiesenen Schutzplatz finden kann. Die Information würde aber nicht nur per Internet, sondern auch via Briefversand erfolgen. Ich kann mir auch vorstellen, dass parallel dazu die Gemeinden die Listen in geeigneten Räumlichkeiten aufhängen würden. Die Sirenen würden erst im äussersten Notfall eingesetzt werden. Man braucht also keine Angst zu haben, dass plötzlich die Sirenen erklingen und man sofort Schutz suchen muss. Briefversand? Dauert das im Ernstfall nicht etwas zu lange? Der Bund gibt vor, dass Schutzräume innert fünf Tagen bezugsbereit sein müssen. Er gibt den Auftrag, dass sie vorbereitet werden müssen. Die Schutzräume werden primär für bewaffnete Konflikte eingesetzt und müssen auch den Bedrohungen A, B und C: atomar, biologisch und chemisch standhalten können. Die Lagebeurteilung erfolgt jeweils über den Bund und bei regionalen Katastrophen über die Kantone und Gemeinden. Chemie ist beispielsweise in Basel durch die dort ansässigen Pharma-Firmen ein grosses Thema. In Ausserrhoden weniger. Wie kommt man auf diese fünf Tage? Durch die ständige Lagebeurteilung der Nachrichtendienste können Bedrohungen für die Schweizer Bevölkerung im Idealfall im Vorhinein erkannt und entsprechend der Erkenntnisse gehandelt werden. Insbesondere ein bewaffneter Konflikt, wie er aktuell in der Ukraine herrscht, bietet genügend Zeit, um die Bevölkerung vorzubereiten. Die Online-Abfrage ist, nachdem wir sie ausgelöst haben, sofort mit dem Stand der letzten Berechnungen oder bei einer Neuberechnung innert sechs Stunden einsatzbereit. Eine Vorgabe vom Bund lautet, dass für jede Person in der Schweiz innert 30 Minuten Gehdistanz, in topografisch herausfordernden Gebieten innert 60 Minuten Gehdistanz ein Platz in einem Schutzraum zur Verfügung steht. In Appenzell Ausserrhoden sind wir ungefähr bei 15 Minuten. Warum ist die Online-Abfrage nicht ständig abrufbar? Dies hat zwei Gründe. Zum einen: Wir arbeiten im Kanton mit Geoinfo zusammen. Die Einwohnerinnen- und Einwohnerdaten werden mit geografischen und baulichen Daten abgeglichen. Soll heissen: Wir verfügen sowohl über einen Plan, wo welcher Schutzraum mit wie vielen Plätzen ist, als auch über die Daten, wie viele Personen wo im Kanton wohnhaft sind. Aufgrund von Zu- und Wegzügen und Bautätigkeiten verändern sich diese Daten. Deshalb muss das Programm im Ernstfall die neuen Daten erst einmal verarbeiten. Würden wir es ständig aktualisieren, wäre das ressourcentechnisch nicht zu rechtfertigen. Appenzell Ausserrhoden war 2017 Pionierkanton für diese Art der Zupla, welche heute bereits von sechs bis sieben anderen Kantonen genutzt wird. Und was ist der andere Grund? In einer Krisensituation kommt es stark darauf an, wie und was kommuniziert wird. Wir wollen auf keinen Fall Panik verbreiten. Zudem besteht die Gefahr, dass Personen, die in privaten Schutzräumen eingeteilt sind, die betreffende Liegenschaft besuchen und sich den Schutzraum dort anschauen wollen würden. Wir bitten die Bevölkerung auch darum, auf eine Nachfrage zu verzichten. Im Falle einer akuten Bedrohung werden wir rechtzeitig informieren. Fremde Personen in privaten Schutzräumen? Wie kommt es dazu? Im Gegensatz zu früher wird heute nicht jeder Neubau mit einem eigenen Schutzraum versehen. Wenn heute gebaut wird, gibt es zwei Möglichkeiten: Die häufigere ist, dass der Hausbesitzer oder die Hausbesitzerin einem nahe gelegenen Schutzraum zugewiesen wird. Diejenigen, die einen Schutzraum bauen, erhalten eine Vergütung aus diesem Fonds. Schutzräume werden heute nur noch ab 25 Plätzen gebaut. Im Kanton gibt es pro 100 Personen ungefähr 119 Schutzplätze in 3200 Schutzräumen. Diese Zahl sowie die Zuteilung ändern sich aber stetig durch die zu Beginn genannten Gründe. Inwiefern werden diese Schutzräume kontrolliert? Alle zehn Jahre werden die privaten Schutzräume inspiziert. Dabei wird darauf geachtet, ob bauliche Veränderungen stattgefunden haben und ob alle Gerätschaften betriebsfähig sind. Da die Räume innert fünf Tagen bezugsbereit sein müssten spricht absolut nichts dagegen, sie als Partykeller, Archiv oder anderweitig zu nutzen – im Notfall muss man die Einrichtung aus dem Raum schaffen. Was nicht geht, und was schon mehrfach von Inspektoren gemeldet wurde, ist, dass die Schutzwände zwecks einer Leitungsverlegung durchbohrt oder die Türen aus Platzgründen entfernt werden. Diese baulichen Veränderungen müssen durch den Eigentümer wieder korrekt erstellt werden, was teuer sein kann und können bis zu einem Straffall führen. Die Verantwortung liegt beim Eigentümer. Wird bei den Kontrollen auch überprüft, ob sich die notwendige Einrichtung im Schutzraum befindet? Die Vorgabe lautet hier, dass für jede im Raum vorgesehene Person ein Bett sowie für alle eine Nottoilette vorhanden sein müssten. Dafür ist der Eigentümer oder die Eigentümerin des Schutzraums verantwortlich. Im Notfall müsste sich jede Person selbst um ihren Notvorrat kümmern. Früher sah dies ganz anders aus. Die Räume mussten jederzeit bezugsbereit sein. Heute sind die Vorgaben lockerer. Man darf nicht vergessen, ein solcher Schutzraum ist nicht dafür gerechnet, darin zu leben, sondern lediglich dafür, darin zu überleben. Wir sprechen bisher immer nur von Menschen. In der Schweiz gibt es aber auch viele Haustiere. Dürfen diese in einen Schutzraum mitgenommen werden? Theoretisch macht es keinen Sinn, ein Tier wie einen Hund oder eine Katze in einen Schutzraum mitzunehmen. Man muss bedenken, dass so ein Tier auch seine Notdurft verrichten muss und dies nicht wie der Mensch auf der Nottoilette machen wird. Im Modell funktioniert das nicht. Wie es aber im Worst Case aussehen würde, kann man natürlich nicht vorhersagen. Ich vermute aber, dass zumindest in den privaten Schutzräumen kurzfristig auch Haustiere untergebracht werden würden. In einigen Mehrfamilienhäusern findet man gelbe Zettel, auf denen steht, wo sich der nächste Schutzraum befindet, in anderen wiede-rum nicht. Die Zettel, die Sie ansprechen, sind Überbleibsel aus der Zeit der Übung «Dreizack» im Jahr 1989. Einzelne Gemeinden haben dies damals in den folgenden Jahren noch sehr seriös und dem gesetzlichen Auftrag entsprechend weiter umgesetzt und andere haben dies aufgrund der Lage ausgesetzt. Diese gelben Zettel sind schon sehr lange nicht mehr auf dem aktuellen Stand und können entfernt werden. Im Notfall würde die Information wie beschrieben anderweitig erfolgen.

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