31.05.2022

«Wir werden das eskalieren bis zum Bundesrat»

Die SBB bauen im Rheintal neue Gleise, zweifeln aber am geplanten Halbstundentakt: Die St. Galler Ständeräte Paul Rechsteiner und Benedikt Würth gehen auf die Barrikaden.

Von Adrian Vögele
aktualisiert am 02.11.2022
Es war ein grosser St. Galler Sieg auf der nationalen Politbühne: 2012 setzten Paul Rechsteiner (SP) und Karin Keller-Sutter (FDP) im Ständerat durch, dass die Bahnlinie im Rheintal modernisiert wird. 180 Millionen Franken holten sie für den Ausbau der jahrzehntelang vernachlässigten Strecke, gegen den Widerstand des Bundesrats. Das Volk bestätigte die Ausbaupläne im Jahr 2014 in der Abstimmung über Finanzierung und Ausbau der Eisenbahninfrastruktur (Fabi). Die Bauarbeiten im Rheintal starten im kommenden Herbst, die Investitionssumme liegt inzwischen bei 250 Millionen Franken. Das Ziel des Ganzen schien stets klar zu sein: Die Fernverkehrszüge zwischen St. Gallen und Sargans sollen zukünftig im Halbstundentakt verkehren – so steht es auch auf der SBB-Website zum Projekt.Vergangene Woche nun haben die Regionen von Sargans bis Bodensee Alarm geschlagen: Die SBB würden im Rheintal keinen durchgehenden Halbstundentakt mehr planen, sondern wollten den Takt vorerst nur punktuell und «nachfrageorientiert» erhöhen. Die SBB erklärten darauf, sie hätten vom Bundesrat den Auftrag erhalten, mindestens 80 Millionen Franken jährlich einzusparen oder entsprechende Mehrerträge zu erwirtschaften. Der Halbstundentakt auf der Rheintallinie solle ab 2024 zunächst zu den Hauptverkehrszeiten eingeführt und dann schrittweise ausgebaut werden. Die entsprechenden Entscheide seien aber noch nicht definitiv.Dünneres Angebot «nicht akzeptabel»Das will St. Gallen nicht auf sich sitzen lassen – auf allen politischen Ebenen kündigt sich Widerstand an. Im Kantonsparlament machen Vertreter der betroffenen Regionen mit Vorstössen mobil. Bei der Kantonsregierung rennen sie offene Türen ein: Verkehrsdirektor Beat Tinner (FDP) – seinerseits ein Werdenberger – hat bereits von der SBB-Geschäftsleitung gefordert, dass ein Halbstundentakt mindestens von 6 bis 20 Uhr einzurichten sei. Lücken werde der Kanton St. Gallen nicht akzeptieren.Jetzt geht dieser Kampf in Bundesbern weiter: Paul Rechsteiner übernimmt wieder – zusammen mit Ständeratskollege Benedikt Würth (Die Mitte/SG) und nach Absprache mit dem Departement Tinner. Die Absicht der SBB, mit dem Halbstundentakt nur zu Stosszeiten zu starten, sei «vollkommen falsch und verkehrt» und müsse korrigiert werden, sagt Rechsteiner am Dienstag auf Anfrage: «Es ist ein Versuch, das Rad der Zeit zurückzudrehen – und den Spardruck, in welchem sich die SBB befinden, auf jene abzuwälzen, die sich nicht wehren. Das können wir nicht akzeptieren.»Machtwort von Karin Keller-Sutter?Benedikt Würth sagt, der Angebotsausbau im Rheintal sei beschlossene Sache. «Die Fernverkehrskonzession ist mit einem Halbstundentakt verbunden, und das ist einzuhalten.»Um den Halbstundentakt zu retten, gehen die St. Galler Ständeräte nun stufenweise vor. In den kommenden Wochen sind Sitzungen und Gespräche im Hintergrund geplant, zunächst mit dem Bundesamt für Verkehr (BAV). Und was geschieht, falls sich auf diesem Weg keine Lösung findet? Würth und Rechsteiner betonen beide: «Wir werden das eskalieren bis zum Bundesrat.»Käme es zu einer Diskussion in der Landesregierung, ruhten die Hoffnungen auch auf Karin Keller-Sutter, die selber jahrelang für die Rheintallinie gekämpft hat. Das letzte Mittel für Rechsteiner und Würth als Ständeräte wären schliesslich Vorstösse im Parlament – das wäre jedoch zeitlich eine langwierige Angelegenheit.Höherer Takt als Anreiz für Umstieg auf ÖVAber braucht es den durchgehenden Halbstundentakt im Rheintal überhaupt? Der ÖV-Anteil am Verkehr im Rheintal ist vergleichsweise gering. Rechsteiner sagt dazu: «Der Halbstundentakt ist die Basis für den Umstieg der Reisenden auf den ÖV.» Es werde dann vom Auto auf die Bahn umgestiegen, wenn ein entsprechendes Angebot bestehe. Beispiele dafür seien der Erfolg der S-Bahn Zürich und die Auslastung auf verschiedenen Hauptstrecken der SBB. «Der Halbstundentakt ist das Rückgrat eines leistungsstarken Verkehrs, vor allem des Fernverkehrs. Und der Halbstundentakt lebt davon, dass er durchgehend ist.» Allerdings sei St. Gallen nicht der einzige Kanton, der mit Sparbemühungen der SBB konfrontiert sei, so Rechsteiner. «Sie versuchen es in verschiedenen Regionen der Schweiz.» Wer sich nicht wehre, habe das Nachsehen. Der Druck zum Sparen komme allerdings vom Finanzdepartement des Bundes.Zum finanziellen Argument der SBB sagt Würth: «Die Kosten für den Halbstundentakt im Rheintal sind ein minimaler Betrag gegenüber dem, was auf den grossen Linien passiert.»Insofern sei das Vorgehen der SBB «völlig unangemessen». Dies erst recht, weil die Infrastruktur im Rheintal jetzt ja ausgebaut werde. «Im öffentlichen Verkehr läuft es so: Zuerst macht man eine Angebotsplanung, und daraus leitet sich die Infrastruktur ab.» Zuerst zu bauen und dann das Angebot doch wieder zu hinterfragen, sei komplett falsch.Und doch wäre es nicht das erste Mal, wie Rechsteiner sagt: «Mir kommt es ein bisschen vor wie damals bei der Verbindung St. Gallen–Konstanz. Man baute die Infrastruktur, aber wollte danach die schnellen Züge nicht fahren. Auch das kam erst auf politischen Druck unsererseits zu Stande.» Jetzt drohe im Rheintal «genau derselbe Schildbürgerstreich».«Aus wirtschaftlicher Sicht falsch»Natürlich, so Würth, erwarte er, dass das bessere Angebot dann auch genutzt werde, wenn es eingeführt sei. Hierfür müsse man den Regionalverkehr mit schlanken Anschlüssen auf den Halbstundentakt des Fernverkehrs abstimmen. «Ich bin zuversichtlich, dass das passiert.» Aber es sei aus marktwirtschaftlicher Sicht falsch, ein neues Produkt – wie hier den Halbstundentakt – mit angezogener Handbremse einzuführen. «Das gibt keinen Schub. Da fragen sich doch die Leute: Kommt das jetzt, oder kommt es doch nicht?»Eine ähnliche Diskussion sei bereits um den Stundentakt auf der Rheintallinie geführt worden, erinnert sich Würth – «ich habe das damals als Verkehrsdirektor erlebt». Es sei ein langer Kampf gewesen bis zur stündlichen Fernverkehrsverbindung. «Und jetzt will man wieder in denselben Modus zurückfallen – das ist einfach unsäglich.»

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