12.12.2020

«Wir wären bereit für den Notfall»

Der Innerrhoder Volkswirtschaftsdirektor Roland Dähler über solidarische Krisenbewältigung, Härtefallmassnahmen und Hirngespinste.

Von Interview: Claudio Weder
aktualisiert am 03.11.2022
Interview: Claudio WederDer Bundesrat erhöht den Druck auf die Kantone, die Coronamassnahmen zu verschärfen. Wie geht man in Innerrhoden damit um?Roland Dähler: Wir haben dieses Thema noch nicht in der Standeskommission besprochen. Grundsätzlich erachte ich es als schwierig, wenn der Kanton Massnahmen beschliesst und diese dann innert kürzester Zeit wieder durch den Bundesrat übersteuert werden. Aus meiner Sicht wäre es konsequenter, wieder durch den Bundesrat die ausserordentliche Lage zu erklären und dann schweizweit die gleichen Massnahmen zu erlassen.St. Gallen und der Thurgau haben diese Woche ihre Massnahmen verschärft. Was plant Innerrhoden?In Zusammenarbeit mit den Nachbarkantonen und dem Bund prüft die Innerrhoder Regierung laufend, ob die Massnahmen angepasst werden müssen. Aktuell sind keine weiteren Massnahmen geplant. Ich gehe jedoch davon aus, dass der Bund bereits am Freitag dieser Woche wieder mit einem Massnahmenpaket kommt.Auch Innerrhoden wurde von der zweiten Coronawelle erfasst. Trotzdem scheint es, als ob die lokale Wirtschaft die Krise nicht zu spüren bekommt.Natürlich haben auch die Innerrhoder Unternehmen mit Einbussen zu kämpfen. Die Gastrobranche sowie der Detailhandel sind von den einschränkenden Massnahmen während der zweiten Welle massiv betroffen. Auch viele Industriebetriebe kämpfen mit massiven Umsatzeinbussen. Bis jetzt hält sich das Ausmass der wirtschaftlichen Krise im Grossen und Ganzen aber noch in einem akzeptablen Rahmen.Also braucht es keine zusätzlichen Massnahmen, um das lokale Gewerbe zu unterstützen?Für die Standeskommission hat die Gesundheit der Bevölkerung immer erste Priorität. Und wir sagen auch: Wenn wir die Gesundheitssituation im Griff haben, dann haben wir auch die wirtschaftlichen Konsequenzen im Griff. Weil die Fallzahlen im Kanton aktuell wieder relativ tief sind, spüren wir auch von Seiten der Wirtschaft nur wenig Druck, mehr zu unternehmen.Druck macht im Moment vor allem die SP. In ihrer Resolution schlägt sie 14 Massnahmen zur solidarischen Bewältigung der Krise vor. Was halten Sie davon?Ich habe mich bereits im August mit der SP über die gesundheitliche und wirtschaftliche Situation im Kanton ausgetauscht, das Resolutionspapier wurde mir dann im Oktober vorgestellt. Grundsätzlich begrüsse ich es, dass sich die Partei Gedanken zu diesem Thema macht. Es sind gute Ansätze dabei, auch wenn die meisten Ideen für die Standeskommission nicht neu sind. Die SP schlägt jedoch auch Massnahmen vor, die nicht realisierbar sind.Zum Beispiel?Der Vorschlag, dass jede Person einen Gutschein in der Höhe von 200 Franken für Gastronomie-, Kultur- oder Freizeitangebote im Kanton erhalten soll. Ich halte es für falsch, wenn der Kanton im grossen Ausmass Steuergelder verteilt. Davon würden letztlich nämlich auch jene profitieren, die es eigentlich gar nicht nötig hätten. Vielmehr müssten wir bei den Härtefällen ansetzen, dort also, wo die Unterstützung am dringendsten gebraucht wird.Letzte Woche hat der Ständerat eine Vorlage zum Mieterlass für Betriebe, die während des Lockdowns schliessen mussten, bachab geschickt. Manche Kantone streben nun eine separate Lösung an. Was macht Innerrhoden?Mit diesem Thema hat sich die Standeskommission bereits im Mai beschäftigt. Wir sehen hier jedoch keinen dringenden Handlungsbedarf mehr. Mir ist kein einziges Unternehmen aus Innerrhoden bekannt, welches seine Miete aktuell nicht bezahlen kann. Viele konnten sich mit den Vermietern auf individuelle Lösungen einigen. Kommt noch hinzu, dass in Innerrhoden viele Mieter selber Eigentümer sind. Die Verhältnisse sind hier auf dem Land weniger prekär als in städtisch geprägten Regionen, wo Ladenbesitzer teilweise unter unglaublich hohen Mietzinsen leiden. Sollte es doch zu Härtefällen kommen, steht dazu unser kantonales Härtefallprogramm zur Verfügung.Was halten Sie von der Einführung eines kantonalen Mindestlohns?Dies halte ich ebenso für nicht umsetzbar. Wenn, dann müsste dies über die jeweiligen Branchenverbände geschehen. Wir haben in Innerrhoden bereits viele Unternehmen, welche einem Gesamtarbeitsvertrag mit einem Mindestlohn unterstehen. Klar gibt es Branchen mit sehr tiefen Löhnen. Als liberal Denkender bin ich aber der Meinung, dass der Kanton nicht in den Markt eingreifen darf, indem er vorschreibt, was eine Verkäuferin oder ein Coiffeur nun verdienen sollen.Gerade auch das Pflegepersonal leidet unter der Krise.Mir ist bewusst, dass das Gesundheits- und Pflegepersonal zurzeit extrem gefordert ist. Doch ist es vermutlich schlicht nicht möglich, zur Entlastung der Situation noch mehr Personal einzustellen, wie das auch von der SP gefordert wird. Es ist ohnehin schon schwierig, ausreichend Fachpersonal in diesem Bereich zu rekrutieren. Auch der Vorschlag, dem Gesundheitspersonal eine Coronaprämie von pauschal 2000 Franken pro Person zu zahlen, geht für mich zu weit. Wir können nicht immer über Defizite und steigende Kosten klagen und auf der anderen Seite grossflächig Geld verteilen.Böse Zungen würden behaupten, Innerrhoden könnte sich das leisten. Immerhin präsentiert der Kanton trotz Corona ein positives Budget für das Jahr 2021. Von der Nationalbank erwartet man eine Gewinnausschüttung in der Höhe von 5 Millionen Franken.Wie bereits erwähnt, ist es der Standeskommission wichtiger, die finanziellen Mittel für Härtefälle zu verwenden. Seit die Härtefallregelung am 17. März erlassen wurde, stehen 3,5 Millionen Franken aus dem Wirtschaftsförderungsfonds zur Verfügung. Hinzu kommen weitere 2,5 Millionen aus der diesjährigen Gewinnausschüttung der Nationalbank, welche wir ebenfalls für Härtefälle einsetzen könnten. Aufgrund der geringen Nachfrage nach solchen Unterstützungsbeiträgen haben wir im August die 2,5 Millionen jedoch wieder aus dem Programm genommen. Das Geld stünde im Notfall aber immer noch zur Verfügung.Das Härtefallprogramm kam bislang also gar nicht wirklich zum Einsatz?Tatsächlich hatten wir bis jetzt wenig Gesuche für A-fonds-perdu-Beiträge. Einen grossen Teil davon mussten wir leider ablehnen, weil die Gesuchsteller die Härtefallkriterien nicht erfüllten. Zudem wurde auch von der im Frühling angebotenen Möglichkeit, die Bezahlung der Steuerrechnung zu stunden, nur spärlich Gebrauch gemacht.Wie ist das zu erklären?Der typische Innerrhoder Unternehmer ruft nicht sofort den Staat zur Hilfe, wenn es ihm mal schlecht geht. Vielmehr versucht er zuerst, sich mit seinen eigenen Reserven zu helfen. Das ist eine gesunde Einstellung.Wird die Anzahl an Härtefallgesuchen nun wieder ansteigen?Ich kann nicht sagen, was auf uns zukommt. Es wäre Kaffeesatzlesen, wenn ich eine Prognose wagen würde. Ich persönlich glaube aber nicht, dass es auf einmal einen gewaltigen Ansprung der Gesuche geben wird. Wichtig ist mir aber, zu betonen, dass wir als Kanton bereit sind und unsere Aufgaben wahrnehmen können. Das Wirtschaftsförderungsgesetz bietet uns eine gute Grundlage, um im Notfall betroffene Unternehmen aktiv und schnell zu unterstützen.Die SP ärgerte sich darüber, dass ihre Resolution an der vergangenen Grossratssession nicht thematisiert wurde. Interessiert sich das Parlament nicht für die Bewältigung der aktuellen Krise?Aus meiner Sicht hat das nichts damit zu tun, dass der Grosse Rat das Thema nicht für wichtig hält, sondern damit, dass der Entscheid um den Abbruch des Spitalneubaus in den Vordergrund gerückt war. Nach der mehrstündigen emotionalen Diskussion war man erschöpft und wollte keine anderen Themen mehr anreissen. Ich weiss von Grossräten, die geplant hatten, zur Härtefallregelung ein Votum abzugeben. Dass dies nun nicht geschehen ist mit Desinteresse gleichzusetzen, wäre falsch.Auch Sie haben ein Votum zur hitzigen Spitaldebatte beigesteuert. Sie sagten, dass man aufhören müsse, einem «Hirngespinst» nachzutrauern, das nicht realisierbar sei. Dazu gab es Kritik von Grossrätin Angela Koller. Wie genau meinten Sie das mit dem «Hirngespinst»?Ich bin seit April 2019 in der Regierung und konnte während dieser Zeit miterleben, wie sich die Standeskommission mit der Umsetzung dieses Projektes intensiv befasst hat. Wir haben alles versucht! Doch irgendwann kam der Punkt, wo man sagen musste, es geht einfach nicht. Die massive Kritik im Grossen Rat, was die Standeskommission alles unterlassen und verpasst hat, hat mich schliesslich zu einem spontanen Votum bewegt, wobei mir das Wort Hirngespinst leider rausgerutscht ist. Ich habe damit jedoch nicht das Landsgemeindegeschäft gemeint, wie es vielleicht vom Grossen Rat aufgefasst wurde. Vielmehr bezeichnete ich die Tatsache als «Hirngespinst», dass es immer noch Leute gibt, welche unter den jetzigen Voraussetzungen an einem Neubau festhalten wollen.

Abo Aktion schliessen
News aus der Region?

Alle Geschichten, alle Bilder

... für nur 12 Franken im Monat oder 132 Franken im Jahr.