06.06.2021

«Wir sind keine Pfarrer oder Trauredner»

Weisse Hochzeiten auf dem Zivilstandsamt sind en vogue. Damit steigen auch die Ansprüche an die Mitarbeitenden.

Von Interview: Seraina Hess
aktualisiert am 03.11.2022
In den 18 Trausälen des Zivilstandsamtes Rheintal sagen pro Jahr rund 300  Paare Ja zueinander – an begehrten Daten während der Frühlings- und Sommermonate manchmal sogar im Dreiviertelstundentakt. Robin Rebecca Wessner leitet das Zivilstandsamt Rheintal, dem abgesehen von Rheineck und St. Margrethen alle Gemeinden zwischen Au und Rüthi angegliedert sind. Im Interview erklärt die 27-Jährige, weshalb es Märchenhochzeiten nicht nur in der Kirche gibt, warum manche Brautpaare die Zivilstandsbeamtin am liebsten als freie Traurednerin engagieren würden und weshalb ihr der Freitag der liebste Wochentag ist.Wird man Standesbeamtin, weil man Hochzeiten mag und eine romantische Ader hat? Robin Rebecca Wessner: Der Beruf dreht sich nicht nur um Hochzeiten. Engen Kontakt zu den Bürgerinnen und Bürgern haben wir auch bei traurigen Ereignissen wie Todesfällen. Wir beurkunden ausserdem Vaterschaftsanerkennungen, Geburten, Namenserklärungen oder Einbürgerungen –  pro Jahr stellen wir rund 1000 Urkunden aus. Aber nun zur Frage: Klar war es eine Hochzeit, die meinen Berufswunsch geweckt hat. Mein Onkel heiratete 2005 im Schloss Arbon. Das märchenhafte Ambiente hat mich fasziniert. Inzwischen arbeite ich seit sieben Jahren als Standesbeamtin und ich liebe es. Geht das denn überhaupt, eine Märchenhochzeit auf dem Zivilstandsamt?  Ja, klar. Wir versuchen immer, so gut es geht auf die Wünsche des Paares einzugehen. Die rechtliche Prozedur, das Ja-Wort, dauert nur eine Minute. Was vorher oder nachher geschieht, ist uns Zivilstandesbeamten überlassen. So kann eine zivile Hochzeit zwischen fünf Minuten und einer halben Stunde dauern. Kann das Brautpaar also mitbestimmen, wie Sie diese halbe Stunde inhaltlich füllen? Nicht ganz. Die Rede schreibe ich immer noch selbst. Es gibt auch keine umfassenden Vorgespräche wie etwa bei einer kirchlichen Trauung. In der Ehevorbereitung, die frühestens drei Monate vor der Trauung stattfindet, werden die rechtlichen Voraussetzungen für die Eheschliessung geprüft. Währenddessen lernt man das Brautpaar etwas kennen und versucht, in der Traurede auf persönliche Umstände und Vorlieben einzugehen. Sie schreiben also für jedes Paar eine neue Rede? Nein, das nicht. Bei meinen bisher 450 Trauungen wären das Unmengen an Arbeit gewesen, zumal man an einer Rede mehrere Stunden schreibt und auch die Lieblingsgedichte irgendwann ausgeschöpft sind. Und es ist ja nicht so, als würden Zivilstandsbeamte nur Paare vermählen; tatsächlich machen Hochzeiten nur einen kleinen Teil unserer Arbeit aus, es sind etwa zehn Prozent.Wie bringen Sie dann die persönliche Note in die Trauung? Ich stelle meine Reden aus Bausteinen zusammen. Ein Beispiel: Wenn die Braut ein Kind erwartet oder vielleicht schon Nachwuchs da ist, kann man die Familie als Thema aufgreifen. Ganz so persönlich wie in einer freien Zeremonie oder in einem Gottesdienst wird es aber nicht. Das ist auch in Ordnung, denn wir sind keine Trauredner und  keine Pfarrer. Das müssen wir ab und zu auch Brautpaaren verständlich machen.Weshalb? Hin und wieder werden wir angefragt, ob wir das Paar auch im Freien trauen würden.  Das Gesetz verbietet uns das aber, schliesslich geht es bei der Eheschliessung um einen rechtlichen Akt, der einen entsprechenden Rahmen braucht. Das Brautpaar hat aber durchaus Freiheiten: Es darf an der zivilen Hochzeit Musik, ein Ehegelübde, den Ringwechsel oder einen Einzug wie in der Kirche einbauen. Ich lege Wert darauf, dass wir dort das Maximum herausholen können. Einzug, Ehegelübde, Musik – die Ansprüche an die zivile Trauung haben sich offenbar verändert und es geht nicht mehr nur um die Unterschrift. Das rührt daher, dass inzwischen viele auf eine kirchliche Trauung verzichten. Sei es, weil es für einen Partner bereits die zweite Hochzeit ist oder weil einem das Spirituelle nicht mehr viel sagt. Den feierlichen Rahmen wollen die meisten Paare aber nicht missen – deshalb gibt es auch mehr Hochzeiten in Weiss auf dem Standesamt als noch vor ein paar Jahrzehnten. Und deshalb ist es uns auch wichtig, ansprechende Lokale anzubieten.Wo heiraten die Rheintalerinnen und Rheintaler denn am liebsten? Sicher auf Schloss Grünenstein im Oktagon oder im Musikzimmer, aber auch in der Ratsstube oder im Festsaal des alten Rathauses in Balgach. Beliebt ist ausserdem der Frauenhof in Altstätten – unter anderem, weil hier die Nutzungsgebühr entfällt und es sich um ein ordentliches Traulokal handelt (siehe Zweittext). Erst letzten Sommer haben wir das Schloss Weinstein mit seinen drei Trausälen in unser Portfolio aufgenommen. Nach der Pandemie können hier sogar grosse zivile Hochzeiten mit bis zu 80 Gästen stattfinden. Auch der Göttersaal des Museums Prestegg, in dem wir ab 2022 trauen, dürfte gut ankommen. Ziehen die beiden Schlösser auch auswärtige Paare an? Selten. Vermutlich, weil Samstagstrauungen Paaren vorbehalten sind, die im Zivilstandskreis wohnen oder einen besonderen Bezug zur Region haben. Es ist auch nicht unser Ziel, mehr Auswärtige zu trauen, zumal mein Team mit seinen 290 Stellenprozenten schon genug ausgelastet sind. Wir wollen vorrangig Rheintaler Paaren einen würdigen Hochzeitsrahmen bieten.Bereitet Ihnen das auch nach 450 Ja-Worten noch Freude? Ja klar! Am Freitag, dem Tag mit den meisten Trauungen, gehe ich stets beschwingt nach Hause. Aber man muss der Typ dafür sein, sich als Dienstleister verstehen und sich nicht auf das Minimum beschränken. Denn die Einwohnerinnen und Einwohner heiraten – bestenfalls – nur einmal im Leben. Kasten: Die meisten Traulokale sind kostenlosNur mit den Trauzeugen im Gemeinderats-Sitzungszimmer – oder doch lieber mit der Gesellschaft im Schloss? Wie Paare zivil heiraten, ist auch eine Kostenfrage. Denn neben den rund 225 Franken für die Ehevorbereitung und die Trauung inklusive Blumenschmuck fällt eine Nutzungsgebühr an, sofern es sich um ein ausserordentliches Traulokal handelt. Die Kosten variieren nach Gebäude und Raumgrösse; sie beginnen bei 50 Franken in der Ratsstube des Alten Rathauses in Balgach und enden bei rund 800 Franken für den Schlappritzi-Saal auf Schloss Weinstein in Marbach. Erst seit einem knappen Jahr werden dort in drei verschieden grossen Trauzimmern Paare vermählt. «Wir hatten schon bis anhin rund 50 Hochzeitsfeiern pro Jahr auf dem Schloss – dass nun auch Trauungen stattfinden können, stösst auf grosses Interesse», sagt Schlosswirt Friedrich Diener. Der Grossteil der Traulokale ist kostenlos, so etwa jene in den Rathäusern der Region. In Altstätten finden Ziviltrauungen ganzjährig von Montag bis Freitag statt, in den anderen Gemeinden des Zivilstandkreises jeweils am Donnerstag und am Freitag. Samstagstrauungen gibt es von April bis Oktober in Altstätten und auf Schloss Weinstein. In Rheineck und in St. Margrethen traut das Zivilstandsamt Rorschach von Montag bis Freitag.  

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