Interview: Hildegard Bickel
Während der Schulschliessung lernten bei Grossfamilie Baumgartner acht Geschwister am selben Tisch (wir berichteten am 25. März). Mutter Tabea Baumgartner war die zentrale Anlaufstelle, unterstützte bei den Aufgaben, kochte und bemühte sich um das allgemeine Wohlbefinden. Wie sie diese Herausforderung meisterte, schildert sie im Rückblick.
Wie fühlte es sich an, als am Morgen des 8. Juni alle Kinder aus dem Haus waren?Tabea Baumgartner: Diese unendliche Stille, die auf einmal unser Haus einhüllte, war unbeschreiblich. Fast schon beängstigend. Aber ich habe die Ruhe sehr genossen. Den gewohnten Rhythmus wie vor der Krise wiederzufinden, entpuppte sich etwas schwieriger.
Inwiefern?
Für mich war diese Zeit sehr wertvoll, da ich nicht von einem Termin zum nächsten rennen musste. Die älteren Geschwister begannen in Eigeninitiative, den Kleineren zu helfen und sie zu motivieren, wo sie nur konnten. Dies so zu sehen und zu erleben, tut dem Elternherz gut.
Viel Nähe birgt andererseits auch Konfliktpotenzial.
Ja, zum Teil war es sehr beschwerlich, die vielen verschiedenen Bedürfnisse und Gegebenheiten unter einen Hut zu bringen. Das liess den einen und anderen schon mal aus der Haut fahren. Mir entglitten die Zügel und Nerven auch ab und an. Danach kehrte für eine Weile Ruhe ein, alle konnten sich sammeln und wieder von vorne anfangen. Dass ich Mutter und Lehrperson in einem war, erwies sich als lehrreiche Erfahrung, war aber für alle nicht leicht.
Heisst das, Sie und Ihr Mann sind als Eltern an Grenzen gestossen?
Ja, das sind wir ohne Zweifel. Aber wir sind beide froh und dankbar, dass unsere Kinder wieder die Schule besuchen und von ihren Lehrerinnen und Lehrern schulisch gefördert werden. Wir dürfen wieder Eltern sein.
Welche Lernfortschritte beobachteten Sie bei den Kindern?
In den acht Wochen Homeschooling (inkl. zwei Wochen Ferien) waren die Kinder extrem fleissig. Während den folgenden vier Wochen Halbklassen- Präsenzunterricht hat der Einsatz meiner Ansicht nach sehr nachgelassen. Die kurze Anwesenheit in der Schule und wenig bis keine Hausaufgaben gaben mir zu denken. Was auf der Strecke blieb, wird sich herausstellen.
Was schätzten Ihre Kinder am Unterricht zu Hause?Sie konnten in ihrem eigenen Tempo arbeiten, ohne zu überlegen, ob die Gspänli schon weiter oder schneller sind als sie selber. Falls eine Aufgabe nicht geklappt hat, legten die Kinder sie zur Seite, fingen etwas anderes an und probierten es später noch einmal. Und vor allem liebten sie es, am PC zu arbeiten.
Der digitale Unterricht eröffnet Chancen, aber nicht nur. Wo sehen Sie Tücken?
Am meisten Mühe hatte ich mit der permanenten Präsenz der Kinder am PC und Laptop. Die Versuchung, Ablenkung zu finden mit einem Klick auf ein Game und Youtube oder chatten mit Freunden während der Unterrichtszeit, das trieb mich an den Rand des Wahnsinns.
Können Sie sich vorstellen, längerfristig die Kinder zu Hause zu unterrichten?
Da muss ich ganz klar mit Nein antworten. Früher war dies zwar ein Traum von mir. Aber nach der jetzigen Erfahrung wird es ein Traum bleiben. Wenn es die Situation erneut verlangt, werden wir dies sicher irgendwie meistern. Aber freiwillig? Nie! Unsere Kinder würden dies sofort unterschreiben.
Wie denken Ihre Kinder jetzt über den Schulbetrieb?
Sie haben feststellen müssen, dass es gar nicht so schlecht ist, in die Schule gehen zu dürfen. Sie schätzen es, morgens wieder aus dem Haus zu gehen.
Hat die Coronazeit grundlegend etwas in Ihrem Familienalltag verändert?
Es geht jetzt nicht mehr zu wie in einem Bienenstock. Vorher war immer ein reges Ein und Aus von Freunden und Bekannten in unserem Haus. Das fehlt den Kindern sehr. Auch ihr Vereinsleben kam in jeder Hinsicht zu kurz. Aber zu gegebener Zeit werden wir dies sicher wieder geniessen.
Was gönnen Sie sich als Familie nach dieser aussergewöhnlichen Zeit?
Einen Badeplausch im Säntis-park und anschliessend werden wir in einer Pizzeria fein essen.