21.02.2021

«Wir passten nach Widnau»

Acht Jahre lang waren Urs und Silke Dohrmann das Pfarrehepaar in Widnau. Nun ziehen sie weiter.

Von Monika von der Linden
aktualisiert am 03.11.2022
Silke und Urs Dohrmann empfangen zum wohl letzten Gespräch mit dieser Zeitung. Sie haben das Ende ihres Berufslebens erreicht und geben die Verantwortung für das Widnauer Pfarramt im März ab. In seinem ersten Interview sagte das Pfarrehepaar «Wir passen nach Widnau» (siehe Ausgabe vom 23. Februar 2013).Vor acht Jahren waren Urs und Silke Dohrmann von Graubünden ins Rheintal gekommen. Beide wirkten als Seelsorger der Reformierten in Widnau – sie auch in Kriessern – und mit regionalen Aufgaben im Mittelrheintal. «Wir passten nach Widnau», resümieren beide. «Heute passen wir nach Adliswil», ergänzt die Pfarrerin. Dort richten sie sich ihren neuen Lebensmittelpunkt ein und wohnen näher bei den vier Enkeln. Viele schöne Erinnerungen tragen zu dem Fazit bei. «Wir fanden in der Gemeinde eine Heimat und wurden so wohlgesonnen behandelt wie seinerzeit empfangen», sagt er.Eine fremdenfreundliche KirchgemeindeAls schönstes Erlebnis und Gemeinschaftsfest bezeichnet Urs Dohrmann den Afrikasonntag. Am ökumenischen Anlass nahmen 2017 viele nach Widnau und ganz Europa emigrierte Togolesen teil. «Das Fest liess sichtbar werden, dass unsere Kirchgemeinde offen für alle Menschen ist», sagt die Gattin. Migranten, Flüchtlinge und Angeheiratete trafen mit Schweizern zusammen. Daraus erwachsen ist das Kafi mitenand, ein Treffpunkt, an dem es Zugewanderten leicht fällt, mit Schweizern in Kontakt zu treten.Als ein unvergessliches Generationenfest bezeichnet Silke Dohrmann den Zirkusgottesdienst in Heerbrugg. Ihn begingen Reformierte, Katholiken, Andersgläubige und wer sonst noch mochte anlässlich des Reformationsjubiläums 2018. «Es ist eine Freude, dass wir in der Kirche so vielfältig und fröhlich feiern können», sagt sie.Das Paar unterscheidet zwischen Ökumene und Nächstenliebe. Der kleinste gemeinsame Nenner in der Ökumene sei der Glaube an einen Gott», sagt der Pfarrer. «Im Mittelrheintal gehen gleich viele muslimische wie christliche Kinder zur Schule. Es wäre vermessen, die einen nicht wahrzunehmen.»Nächstenliebe gehe darüber hinaus. «Verbindet nicht der Glaube, sondern eine Geschichte, ist es Nächstenliebe.» Als Beispiel nennt der Pfarrer eine Szene an einer Bushaltestelle: «Regnet es und ich halte jemandem den Schirm hin, frage ich nicht nach seinem Bekenntnis. Ich lasse ihn nicht im Regen stehen.»Erfreulich habe sich die Musikalität in der Gemeinde entwickelt, sagt Silke Dohrmann. Die derweil etablierten Singgottesdienste beglücken sie sehr. «Karin Fend triggert mit ihrer Spiritualität die Gefühle», sagt die Theologin über die musikalische Leiterin der Kirchgemeinde. Sie könne die Orgel leise wie ein Vogel und laut wie ein Sturm spielen. «Karin Fend hat keine Berührungsangst, ist menschennah und wertet alte wie moderne Lieder aller Genres gleich.»Gottesbild beeinflusst, wie Frauen behandelt werden«Als Gott den Mann erschuf, übte sie nur», sagt Silke Dohrmann. Mit dem schon älteren Witz spricht sie ein männlich geprägtes Gottesbild an. «Wie kommt es, dass sich gewisse Männer herausnehmen, sich Frauen gegenüber hasserfüllt zu gebärden, sich ihnen überlegen fühlen oder ihnen Gewalt antun», fragt sie. Eine Ursache sieht die Pfarrerin darin, dass die patriarchalisch geprägte Bibel einengend gedeutet wird. «Sie wird oft benutzt, um zu belegen, dass Männer die Herrscher sind, aber weniger, um die weibliche Seite Gottes zu beschreiben. Das Wort Barmherzigkeit entstammt dem Hebräischen und heisst Gebärmutter. Bezeichne man Gott als eine Sie, öffne dies den Blick für den weiblichen Teil Gottes. «Wer das Weibliche in Gott verschweigt, macht sie kleiner und somit auch die Frauen.» Man beachte so nur die Hälfte Gottes und die Hälfte der Menschheit. Anhand der Sprache leiste man dem Vorschub oder eben nichtTraurig stimmt das Paar, dass es letzte Ostern nicht feiern durfte und nun der Treffpunkt Kirchenkaffee entfallen muss. «Gut ist, dass seit Pfingsten wieder Gottesdienste erlaubt sind», sagt Urs Dohrmann. Die Pandemie beschäftigt beide sehr. Sie waren selbst an Covid erkrankt. «Ich habe drei Monate lang gebraucht, um wieder zu innerer Kraft zu kommen», sagt Silke Dohrmann. «Im Spital habe ich erlebt, dass die Pflegenden so stark gefordert sind, dass sie kaum zu Wort kommen. «Die Gesellschaft darf sie nicht aus den Augen verlieren.»HinweisDen Abschied begeht die Evangelische Kirchgemeinde Widnau-Diepoldsau-Kriessern am Samstag, 6. März, um 17.30 Uhr in der Kapelle Widnau. Er wird unter www.refdwk.ch übertragen.Zweittext:Den Weggang von Silke und Urs Dohrmann nutzt die Reformierte Kirchgemeinde Widnau-Diepoldsau-Kriessern und überarbeitet ihre Ausrichtung. «Wir führen die Spuren, die beide gelegt haben, weiter», sagt Präsident Thomas Widmer. Das sind zum Beispiel die Musikgottesdienste, das Kafi mitenand oder das Popcorn-Kino. «Wir legen künftig auch neue Spuren.»Die markanteste Änderung betrifft das Pfarrteam. Bisher waren zwei Pfarrer und eine Pfarrerin angestellt. Neu gibt es ein vierköpfiges Seelsorge- und Diakonenteam. Bereits beschäftigt sind Pfarrer Andreas Brändle (80 Prozent) und Sozialdiakonin Manuela Fiorini (im Stundenlohn). Hinzu kommt ein Diakon (100 Prozent). Die Vorsteherschaft hat ihn gewählt und wird ihn demnächst vorstellen. Er beginnt am 1. August. Eine Pfarrstelle (40 bis 80 Prozent) ist ausgeschrieben. «Wir haben Zeit mit der Wahl», sagt Thomas Widmer. Marcel Wildi aus Buchs ist bis Jahresende Stellvertreter im Pfarramt Widnau. «Uns liegen vier geeignete Bewerbungen vor.»Mit der personellen Zusammensetzung will die Vorsteherschaft die Alltagskirche stärken und so die Lücke der aufsuchenden Seelsorge schliessen. Zusätzlich zu den Sonntagsgottesdiensten wird das Team an den Werktagen mehr Angebote für junge Erwachsene und ältere Menschen führen: «Wir wollen das Feld der Elf- bis 16-Jährigen, der frisch Konfirmierten sowie der Älteren und Einsamen stärker betreuen.»Der neuen Ausrichtung möchte die Vorsteherschaft Nachdruck verleihen. Sie weicht vom Prinzip ab, dass ein Seelsorger nur für ein Dorf zuständig ist. Das Team wird enger zusammenarbeiten und jedes Mitglied für die ganze Kirchgemeinde zuständig sein. «Vieles verlief bisher doppelspurig, sagt Thomas Widmer. «Wir möchten vermitteln, das wir eine einheitliche Kirchgemeinde sind, die aus drei Dörfern besteht.» Die Mobilität habe so stark zugenommen, dass sich auch die Kirchbürger zwischen Widnau, Diepoldsau und Kriessern gut bewegen könnten. Viele Gottesdienste, Angebote für Kinder und ältere Menschen wird es weiterhin in jedem Dorf geben.

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