08.11.2019

«Wir müssen umdenken»

Beim AGV-Lohnapéro ging es um Lohnperspektiven und Fachkräftemangel.

Von Andrea C. Plüss
aktualisiert am 03.11.2022
Andrea C. Plüss Ein Song beschreibt, wie es ist: «Stürmischi Zyte» fordern uns heraus. Mit dem Lied des Berner Mundartsängers Peter Reber begann der gestrige Lohnapéro im Widnauer «Metropol». Mehr als 300 Vertreter aus Industrie, Gewerbe, Handel, Dienstleistung und Verwaltung hörten ein nachdenklich stimmendes, aber auch kraftvolles Lied. Brigitte Lüchinger, Präsidentin des AGV Rheintal, fasste das Credo wie folgt zusammen: «Wir stehen erst am Anfang einer riesigen Herausforderung.» Herausfordernd ist einerseits die wirtschaftspolitische Weltlage mit zahlreichen, hinlänglich bekannten Unsicherheitsfaktoren. Im Unterschied noch zu 2018 könnten sich im Rheintal in diesem Jahr nicht alle Branchen über volle Auftragsbücher freuen. «Die Mehrheit der Rheintaler Industrie muss Exporteinbussen hinnehmen», sagte Lüchinger. Auswirkungen dieser Entwicklung spüren naturgemäss auch die Zulieferer. Sieben Firmen aus dem Rheintal haben per Ende Oktober Kurzarbeit angemeldet, im Vorjahr waren es zum selben Zeitpunkt vier. Dem Arbeitsmarkt fehlen die Menschen Andererseits führen die demografische Entwicklung sowie sich verändernde Berufsfelder zu einem Mangel an Arbeitskräften. Möglichkeiten, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, zeigte Gastreferent Sebastian Wörwag auf. Der Rektor der Fachhochschule St. Gallen befasst sich mit bildungspolitischen Themen, der Zukunft der Arbeit und flexiblen Arbeitsmöglichkeiten. Die von ihm genannten Zahlen lassen aufhorchen: Bis 2021 erreichen etwa 25 000 Menschen mehr pro Jahr das Rentenalter als in den Arbeitsmarkt nachkommen. Gleichzeitig gehen 20 % aller Beschäftigten bis fünf Jahre vor dem gesetzlichen Rentenalter in Pension. Diskussionen auf Bundesebene oder in Branchenverbänden griffen nicht, und wirkten «hilflos». «Wir müssen umdenken», sagte Sebastian Wörwag. Dabei gelte es vor allem, ältere Arbeitnehmer im Arbeitsprozess zu halten. In einer von Wörwag geleiteten Studie haben 72 % der Befragten angegeben, mit einem neuen, flexiblen Arbeitsportfolio bereit zu sein, bis zur ordentlichen Pensionierung zu arbeiten, manche sogar darüber hinaus. Viele ältere Beschäftigte wünschen sich Aufgaben in den Bereichen Beratung oder Entwicklung; auf jeden Fall weniger Routinetätigkeiten. Unternehmen seien gefordert, individuelle, interne Möglichkeiten ernsthaft auf ihre Umsetzbarkeit hin zu prüfen. Die Erfahrung älterer Mitarbeiter dürfe nicht verloren gehen, sondern sollte den Unternehmen erhalten bleiben. Motivierter und besser durch ErholungspausenWenngleich nicht unbedingt in Vollzeit, denn längere Erholungsphasen, sogenannte Sabbaticals, hielten gesünder, motivierten und trügen zu besseren Arbeitsergebnissen bei, führte Wörwag aus. In einer Umfrage zu den Rahmenbedingungen für neue, flexible Arbeitsmodelle gaben 77 % an, sich weniger Bürokratie und Regeln zu wünschen. Gleich viele wünschen sich ein Vorleben durch die Unternehmensleitung, wenn es um flexible Arbeitsmodelle geht. Klaus Brammertz, Vorstandsmitglied und Fachgruppenleiter «Fachkräftemangel» beim AGV Rheintal, kündigte die Vorstellung der Praxisstudie zur Eindämmung des Fachkräftemangels mit den Worten an: «Manche können es nicht mehr hören, dabei fängt es erst an.» Sich dem Phänomen zu verschliessen, helfe nicht weiter. Die Studie, die sich explizit auf das St. Galler Rheintal bezieht, war vom AGV Rheintal in Auftrag gegeben worden. Corinne Britschgi aus Diepoldsau, die als FHS-Studentin im Projektteam mitarbeitete, präsentierte die beiden regionalen Konzeptansätze. Der erste pädagogische Konzeptansatz «Young-Tec-Fun» (siehe dazu das Interview auf Seite 27) setzt bereits auf Primarschulstufe an.Sharing-Plattform für Mitarbeiter und ProjekteBei «Rheintal knows how» geht es um eine zu schaffende Plattform zum Austausch von qualifizierten Mitarbeitern oder Spezialisten einerseits und Projektarbeiten andererseits. «Firmen-übergreifend lassen sich Lösungen finden, die ein Unternehmen allein vielleicht nicht entwickeln könnte», beschrieb die Mitautorin diesen Konzeptansatz und schloss mit den Worten: «Der Konkurrenzkampf im Rheintal muss aufhören».

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