22.12.2019

«Wir konnten nur uns selber retten»

Ein Jahr ist es her, seit Familie Benz aus ihrem brennenden Haus fliehen musste. Michaela Benz schaut zurück.

Von Hildegard Bickel
aktualisiert am 03.11.2022
Hildegard BickelDie vierköpfige Familie wohnt immer noch dort, wo sie nach der verheerenden Brandnacht am 21. Dezember 2018 sogleich eine Unterkunft fand: in einer Altbauwohnung an der Burggasse, die den Schwiegereltern von Michaela Benz gehört. Auf dem Tisch in der gemütlichen Stube ist ein Adventskranz aufgestellt. Die Kerzen haben keinen Docht, sie leuchten mit LED-Licht. «Kerzenflammen in der Wohnung –das geht nicht mehr», sagt sie. «Der Respekt vor Feuer ist gestiegen.»Gesamten Besitz verloren, Lebensmut behaltenMichaela Benz, ihrem Mann und den beiden Töchtern, die 19 und 21 Jahre alt sind, geht es gut. «Wir haben mit dem Brand abschliessen können», sagt sie. Gespräche innerhalb der Familie halfen, das Erlebte zu verarbeiten. Es gebe zwar Situationen, bei denen die Erinnerungen wieder hochkommen. Wenn in den Nachrichten von Bränden berichtet wird. Oder wenn sie beim Brandplatz vorbeigeht.«Zusehen zu müssen, wie die Flammen den gesamten persönlichen Besitz und Erinnerungen vernichteten, das war Horror», sagt Michaela Benz. «Das wünsche ich niemandem.» Der Brand ist im unteren Stock, im Make-up- und Visagisten-Studio von Michaela Benz ausgebrochen. Ursache war ein technischer Defekt an einer Kabelleiste. «Es ging brutal schnell», sagt Michaela Benz. «Wir rochen den Rauch, entdeckten den Brandherd und versuchten, selber zu löschen. Mein Mann erkannte die ausweglose Situation und sagte, wir müssen die Mädchen holen. Ich griff nach einem Handy und gemeinsam eilten wir im Pyjama nach draussen, als bereits die ersten Fenster zerbarsten.» Es sei riesiges Glück gewesen, dass sie unverletzt aus dem Haus kamen. Die Familie konnte nur sich selber retten.Mehr als jegliche materiellen Dinge schmerzt die Familie der Verlust von drei Katzen. Die einzige, die überlebte, ist seither viel anhänglicher und hält sich nur noch in der Wohnung auf. Den vernichteten Fotos möchte Michaela Benz nicht nachtrauern. «Natürlich reut es uns. Aber die Fotos können wir nun mal nicht zurückholen.» Andere Gegenstände liessen sich wieder besorgen. Zwar war es aufwendig, bis alle Dokumente wie Führerschein, Bankkarten und Identitätskarten wieder beisammen waren. «Wir durften aber auf die Unterstützung von allen Seiten zählen», sagt Michaela Benz. «Es klappte reibungslos.»Grosse Solidarität im DorfAm Tag nach dem Brand kauften sie das Nötigste wie frische Unterwäsche und Kleider. Am Abend wurden sie von Angehörigen empfangen, die Gewissheit brauchten, dass es ihnen gut ging. In den folgenden Tagen erlebte Familie Benz eine Welle der Solidarität im Dorf.Sie erhielten Geschirr, Pfannen, Bettwäsche, Kleider, Möbel, Einrichtungsgegenstände. Eine Nachbarin managte die Abgaben, damit es keine Doppelspurigkeiten bei den Spenden gab. In der Wohnung ist seither alles vorhanden, was man zum Leben braucht. Trotzdem kommen nur bedingt heimische Gefühle auf. «Es ist nicht dasselbe wie im Eigenheim», sagt Michaela Benz.Sie schätzt die Übergangslösung sehr, möchte aber nicht zu viel Kosten für weitere Einrichtungen aufwenden. Die Zimmer sind schlicht gehalten, auch Pflanzen, die sie sehr mag, gibt es nur vereinzelt. «Solche Dinge beschaffen wir erst wieder, wenn wir in den Neubau einziehen können.»Die Visiere künden Neubauprojekt anHeute steht nicht mehr das, was verloren ging im Vordergrund, sondern die Aussicht auf ein neues Haus. «Es zieht uns stark zu unserem Grundstück», sagt Michaela Benz. Das abgebrannte Haus, in welches das Ehepaar Zeit und Geld investiert hatte, war ihr Elternhaus. Auch die Töchter möchten künftig wieder an der Kübachstrasse wohnen. Derzeit ist das Grundstück ein leerer Platz mit Unkraut. Doch die Visiere sind ausgesteckt. Es soll ein Dreifamilienhaus entstehen. Die Pläne sind fertig, die Baueingabe eingereicht.Bei der Arbeit mit den Architekten konnte sich Familie Benz einbringen und entschloss sich für eine Variante mit mehreren Wohnungen, um den Töchtern separaten Wohnraum bieten zu können. Voraussichtlicher Baubeginn ist im Frühling.Gelernt, Hilfe anzunehmenDie Familie wurde nach dem Brand oft nach ihrem Befinden gefragt. Es bereitet ihnen keine Mühe, darüber zu reden. «Wir haben auch bald wieder unser Lachen gefunden», sagt Michaela Benz. «Das Leben muss vorwärts gehen.»Ihre Selbstständigkeit kann sie zwar nicht mehr ausführen. Make-up-Aufträge nimmt sie nur noch sporadisch an. Seit rund drei Monaten hat sie jedoch eine neue Arbeitsstelle und schätzt es, unter Menschen zu kommen. «Sonst fällt mir zu Hause die Decke auf den Kopf.» Michaela Benz ist dankbar gegenüber allem, was sie an positiven Aspekten aus dem Ereignis mitnehmen durfte. Die Anteilnahme der Menschen, der Rückhalt im Dorf.Es war eine Lektion, Hilfe anzunehmen. Der Brand belastet nicht mehr, auch wenn sich das Datum kurz vor den Festtagen jährte. «Weihnachten feiern wir wie jedes Jahr mit Verwandten», sagt Michaela Benz. «Allerdings nicht in unserer Wohnung, sondern bei Angehörigen.»

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