01.11.2020

«Wir haben es nie bereut»

2011 wanderte Familie Dellenbach auf die Azoreninsel Faial aus. Seither besitzt sie weniger, ist aber glücklicher.

Von Benjamin Schmid
aktualisiert am 03.11.2022
«Wir sind angekommen», sagt Claire Dellenbach, «wir fühlen uns heimisch und integriert.» Neun Jahre ist es her, seit die Familie Kobelwald verliess, um ein geregeltes Einkommen gegen ein Stück Freiheit einzutauschen. Mitten im Atlantik zwischen Europa und Amerika haben sie ihren Traum verwirklicht und liessen sich auf der blauen Insel Faial nieder. Statt Ribelmais haben sie Hortensienhecken, statt Riet- Vulkanlandschaften und statt ins Vorarlbergische schweift ihr Blick über den Atlantik.Statt Touristen Senioren einquartiertDie Azoren sind bekannt für ihre Natur und die Ruhe. Ihr bekanntestes Produkt ist das Azorenhoch, das uns in Mitteleuropa jeweils schönes Wetter beschert. Massentourismus wie an der Costa Brava, auf den Balearen oder den Kanarischen Inseln kennen die rund 245000 Einwohner nicht. Möglicherweise deshalb sei die Coronapandemie an ihnen vorbeigeschrammt. «Aktuell gibt es auf Faial zwei positive Coronafälle», sagt die Pflegeassistentin. Damit stieg die Zahl der infizierten Personen auf fünf. Die Einheimischen nehmen die Pandemie nicht so tragisch und halten sich nur bedingt an die Massnahmen. Wenn Masken getragen werden, dann nur in den Läden in der Stadt, nicht aber bei ihnen auf dem Land.Weil aber mit den Lockdowns im Frühling auch der sanfte Tourismus einbrach und sowohl Gäste wie Buchungen ausblieben, entschloss sich die Familie im Mai, ihre Unterkünfte für Senioren zur Verfügung zu stellen. Während Mutter Claire sich um die betagten Mitbewohner kümmert, pflegt Sohn Iwan das Haus und den Garten und Vater Thomas macht Homeoffice oder entfaltet sich in seiner Kunst. Hier haben sie Zeit zum Atmen, mit Freunden einen Kaffee zu trinken und die überwältigende Natur zu geniessen. «Wir leben da, wo andere Urlaub machen», sagt der 30-jährige Iwan. Die Auswanderung war kein Selbstläufer und mit vielen Herausforderungen gespickt. Bis vor zwei Jahren musste Claire zum Arbeiten in die Schweiz reisen, um die Familienkasse aufzubessern. Auf der Suche nach Ruhe und NaturThomas brauchte viel Geduld, um mit seinem künstlerischen Schaffen die gewünschte Anerkennung zu erhalten und Sohn Iwan sucht immer noch die grosse Liebe. Zweifellos das schlimmste Ereignis war der Suizid von Sohn Ilja. «Dies braucht heute noch Zeit zum Verarbeiten», sagt die 54-Jährige Claire Dellenbach. An gewissen Tagen liegt die Trauer bleiern über der Familie.Mit jedem Tiefschlag seien sie gewachsen und aus jeder Krise gestärkt hervorgegangen. Zwei Drittel der Familie spreche fliessend Portugiesisch. Neben dem Haupthaus wurde ein Gästehaus errichtet, Vater Thomas hat seine Galerie eröffnet und den familieneigenen Zoo mit weiteren Tieren vergrössert. «Wir haben den Entschluss, auszuwandern, nie bereut», sagt der 58-Jährige, «wir haben weniger Luxus, dafür mehr Lebensqualität.» Eine Rückkehr ins Rheintal sei unvorstellbar – ihre Heimat ist Faial. «Hier werden wir zusammen alt», sagt Claire Dellenbach, «und wer weiss, vielleicht findet Iwan eines Tages seine grosse Liebe.»HinweisWeitere Informationen unter: www.azorenquinta-faial.com

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