04.03.2021

«Wir brauchen keine Pisten»

Offizielle Abfahrten für Mountainbiker von St. Anton und Hirschberg werden zunehmend realistischer.

Von Reto Wälter
aktualisiert am 03.11.2022
Reto Wälter«Mountainbiker sind wie Wasser am Hang: das kann man nicht stoppen, es wird irgendwo hinunterfliessen», sagt Viktor Styger, Geschäftsführer der St. Galler Wanderwege, und führt aus: Seit er dieses Zitat gehört habe, komme es ihm beim Thema Mountainbike immer wieder in den Sinn. «Es ist daher gut, dass man nun eine Strategie entwickelt.» In der letzten Session hat der Kantonsrat mit 100:3 Stimmen die überparteiliche Motion «SG braucht eine MTB-Strategie» angenommen. Diese breit abgestützte Motion kam zustande, da die Antworten der Regierung auf die vorausgehende Interpellation «Welche Strategie verfolgt der Kanton beim Mountainbike?» viele Räte nicht befriedigte, weil sie zu wenig konkrete Handlungen beinhaltete.Von einer Mountainbike- Strategie kann in unserer Region vor allem das Gebiet rund um den St. Anton und den Hirschberg profitieren. Als Naherholungsgebiet ist es von allen Seiten gut zugänglich und mit den Appenzeller Bahnen gibt es auch noch einen Zubringer.Der Verkehr im Wald nahm stetig zuDer Wegfall von Freizeitaktivitäten aufgrund der Coronapandemie und der gleichzeitige Boom von Elektrovelos führten nochmals zu einer Zunahme von Mountainbikern. Von der rechtlichen Seite her dürfen sie alle klassierten Wege befahren, dazu gehören im Kanton St. Gallen die ausgeschilderten Wanderwege. Allerdings durchziehen zahlreiche Pfade die hiesigen Wälder und wohl selbst Ortskundige wissen nicht immer, ob sie auf einem offiziellen Wanderweg unterwegs sind. Verboten ist es, Naturschutzgebiete zu durchqueren.«Es fällt auf, dass wenig Wissen vorhanden ist und das gilt nicht nur für die Mountainbiker», sagt Jürg Buschor, Co- Präsident des Vereins Mountainbike Rheintal. Flora und Fauna sind in den Waldgebieten komplex. «Je nach Lebensraum können verschiedene gefährdete Tierarten betroffen sein», sagt Arno Puorger vom Amt für Natur, Jagd und Fischerei St. Gallen. Auch bei der Aufzucht des Nachwuchses reagiere nicht jede Art gleich empfindlich. «Je weniger Störung, desto besser, auch weil sich in den Gebieten meistens mehrere Tiergattungen aufhalten.»Den Verkehr im Waldstärker kanalisierenEin Lösungsansatz ist es, den Verkehr stärker zu kanalisieren. Auf das Mountainbiken bezogen heisst das, Abfahrten zu ermöglichen, die den Bedürfnissen entsprechen. «Unser Ziel wäre es, eine Pilotstrecke zu schaffen, die spannend zu fahren ist», sagt Jürg Buschor und erklärt: «Wir brauchen dafür keine Piste, wie man sie von Skigebieten kennt.» Es würde reichen, vorhandene Wege zu optimieren, etwa ein Schlammloch auszufüllen, Stufen und Treppen befahrbar zu machen.»Gerade im Gebiet St. Anton gibt es viele Wege, die praktisch in der Falllinie Richtung Tal führen. Bei starkem Gebrauch erodieren sie. Buschor sagt: «Einen solchen Weg mit einigen Kurven zu versehen, würde auch dem Wanderer helfen.» Die Mountainbiker seien sicher bereit, bei solchen Korrekturen und der Instandhaltung mitzuhelfen.Viele Beteiligte, unterschiedliche Interessen«Die Verhältnisse sind gerade in unserer Region sehr komplex. Oftmals führt ein Weg durch Wälder mit zahlreichen Besitzern, die zu unterschiedlichen Gemeinden, ja sogar Kantonen gehören», gibt Walter Kobelt zu bedenken. Er ist Präsident der Ortsgemeinde Marbach, zu der 48 Hektaren, also 48000 Quadratmeter Wald gehören, 95 Prozent liegen auf Gemeindegebiet von Reute im Kanton Appenzell Ausserrhoden. Es gebe jetzt schon viele Gesetze zu beachten. Kobelt weiter: «Wichtig ist, dass nicht über die Köpfe der Waldbesitzer hinweg entschieden wird und diesen nicht noch mehr Pflichten aufgehalst werden.» Die Rechnung Wald sei jeweils eine teure Angelegenheit. «Deshalb muss die Finanzierung geklärt sein, vor allem auch, was die Folgekosten, etwa den Unterhalt anbelangt.»Die Freizeit in der Natur zu verbringen, ist ein BedürfnisOutdoorspezialist Jürg Buschor sieht denn auch begrenzte Kapazitäten, was die Freiwilligenarbeit der MTB-Gemeinde angeht: «Auch bei nicht allzu grossen baulichen Veränderungen braucht es Bewilligungen, Masse und Normen müssen eingehalten werden.» Da brauche es professionelle Hilfe. Und die gibt es: Er verweist auf die Bikernetzwerk AG, die etwa im Sarganserland Projekte umsetzte. «Es gibt sehr viele Leute, denn auch die Wanderer gehören dazu, für die es ein Bedürfnis ist, die Freizeit in der Natur zu verbringen», sagt Buschor. Deshalb sei es auch berechtigt, wenn für eine MTB-Strategie etwas Geld gesprochen werde. Schliesslich verlange man vom Fussballclub auch nicht, dass er für sämtliche Kosten für Plätze, Infrastruktur und deren Unterhalt aufkomme. Ideal fände der Co-Präsident des Vereins MTB Rheintal, wenn es dereinst zwischen Berneck und Rüthi sechs bis sieben bikergerechte Abfahrtsrouten gäbe. «Ich denke, dass sie von fast 90 Prozent der Biker benutzt würden», schätzt Jürg Buschor und würde auch deshalb gerne ein Pilotprojekt lancieren, um zu sehen, wie stark es Biker in einer Gegend zu kanalisieren vermag. Ortsgemeindepräsident Walter Kobelt glaubt, dass der Reiz eines solchen Weges schnell verloren ginge. Er sagt: «Entscheidend bei einem solchen Projekt wäre die Mitarbeit des Försters.» Der kenne den Wald am besten und wüsste, wo die Linienführung nicht durchgehen dürfe. «Im Gegenzug müsste man vielleicht auch verbotene Gebiete definieren.»Das sieht auch Robert Kobler, Revierförster der Ortsgemeinde Oberriet und Eichenwies, so. Das von ihm betreute Gebiet rund um den Montlinger Schwamm ist stark frequentiert von Mountainbikern, die oft auch nicht erlaubte alte Holzerpfade nutzen. «Eine Kanalisierung der Runterfahrenden wäre gut, das würde auch die sowieso schon gefährliche Arbeit im Wald sicherer machen», sagt er.«Der jetzige Zustand ist keine Lösung»Die verschiedenen Exponenten betonen, dass sich viele Biker korrekt verhalten und es Zeit sei, Abschied zu nehmen von den gegenseitigen Klischeevorstellungen. Nur ein Miteinander helfe weiter.«Schliesslich überschneiden sich die Gruppen auch. Viele Biker sind auch gerne zu Fuss unterwegs», sagt Viktor Styger, Geschäftsführer der St. Galler Wanderwege, und meint: «Es ist gut, dass nun eine Strategie erarbeitet wird, denn der jetzige Zustand ist keine Lösung.» Dazu gehört, dass es zwar ein ausgeschildertes Mountainbike-Wegnetz gibt, diese Strassen aber uninteressant für die Abfahrt sind – dafür würde gar kein Mountainbike benötigt. Martin Sailer von der Toggenburger SP sagte an der Debatte zur MTB-Motion im Kantonsrat, dass 2020 die Verkäufe in der Schweizer Velobranche höher gewesen seien als in der restlichen Sportartikelbranche. Auch dies zeigt, es wird kein Weg daran vorbei führen, Lösungen zu finden.

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