Menschen, die einen chronisch Kranken pflegen oder einen Angehörigen durch eine aussergewöhnliche Phase begleiten, sind einer hohen Belastung oft ohne eine Erholungspause ausgesetzt. Ihnen ist es möglich, ein wenig Abstand von ihrer Aufgabe zu finden, sofern sie gezielt unterstützt werden. Hier setzt der Entlastungsdienst Rheintal an. Stundenweise leisten Betreuerinnen und Betreuer Einsätze. Sie kümmern sich um kranke und beeinträchtigte Menschen, widmen sich ihnen mit Zeit und Aufmerksamkeit. Die Angehörigen können sich erholen oder anderen Aufgaben nachkommen.Ihre Gabe hat sie ausgebaut und professionalisiertElsbeth Specker ist die Vermittlerin des Dienstes, der im Gebiet der Gemeinden von Rüthi bis Thal tätig ist. Sie rekrutiert die Betreuer, nimmt Anfragen von Klienten entgegen und bringt beide zusammen. Sie tauscht sich mit Fachkräften aus und bezieht Pro Senectute und Spitexdienste falls nötig in Fälle ein. Die Altstätterin hat wohl den Begriff Entlastung und die sich ergebenen Konsequenzen verinnerlicht. Sie lädt die Journalistin in ihre Stube ein. Um das Geld, das ein externes Büro den Verein kosten würde, entlastet sie ihn. Sie arbeitet daheim.Kinder hat Elsbeth Specker nicht bekommen. «Es hat mir etwas gefehlt», sagt sie. Ihre Gabe, sich um Menschen zu kümmern, setzte sie ausserhalb ihrer Familie bereits vor etwa dreissig Jahren ein. Sie betreute schwerst behinderte Kinder. Etwas später knüpfte sie Kontakte zum im Jahr 1987 gegründeten Entlastungsdienst Rheintal. Elsbeth Specker wuchs immer mehr ins Fachgebiet hinein, bildete sich weiter und wurde vor fünfeinhalb Jahren Vermittlerin.Seither hat sich die Struktur des Dienstes mehrfach verändert. Im Jahr 2017 war der Anspruch, die Einrichtung zu professionalisieren, so gross, dass sich mehrere Vereine schweizweit unter dem Dach von Pro Infirmis zusammenschlossen. Der Entlastungsdienst Rheintal schloss sich später mit dem der Ostschweiz an. «Wir konnten dies nicht länger mit unserer Philosophie vereinbaren», sagt Elsbeth Specker. Folglich erlangte der Verein per 1. Januar dieses Jahres seine Eigenständigkeit zurück. Er ist neutral, an keine Partei, Konfession und keinen Verband gebunden.«Wir berühren die Seele der Menschen», fasst die Vermittlerin die Vereinsphilosophie zusammen. Den schön klingenden Satz füllt sie mit Beispielen konkreter Fälle. Sie alle zeigen, hinter jedem einzelnen Fall sieht der Verein Menschen, die einer Unterstützung bedürfen.«Wir haben noch keine Entlastung abgelehnt, die nicht kostendeckend war.» Will heissen, der Dienst handelt spontan und überbrückt Engpässe in Fällen, in denen eine Kostengutsprache zuständiger Träger noch aussteht. Zum Beispiel betreute der Entlastungsdienst vier schulpflichtige Kinder, nachdem ihre Mutter einen Suizidversuch überlebt hatte. Die Patientin liess sich in der Psychiatrie behandeln, der Verein betreute und bekochte die Kinder. «Wir handeln schnell und nutzen dafür Spenden.»Einen beinträchtigen Menschen mit zu einem Konzert in der Tonhalle zu nehmen, beschert ihm ein besonderes Erlebnis. Darf ein dementer Mensch einen Nachmittag lang ihm früher leicht von der Hand gehende Tätigkeiten wieder einmal ausführen, erlebt er Harmonie und Zufriedenheit. Elsbeth Specker bereitet die Betreuer vor, sie wissen, wie sie auf die Wünsche und Bedürfnisse ihrer Klienten eingehen. Dazu erstellt die Vermittlerin einen individuellen Ressourcenplan. Er enthält Wünsche, Defizite und zu fördernde Stärken des Klienten.Elsbeth Specker ist froh, die Eigenständigkeit wieder erworben zu haben. «Wir können unsere Philosophie wieder leben.» Sie glaubt, dass es künftig mehr und aufwendigere Einsätze geben wird. Das heisst auch, dass weniger Menschen durch die Maschen des sozialen Netzes fallen und sich mehr trauen, den Dienst anzunehmen.Zahlen zu den EinsätzenIm Jahr 2019 betreute der Entlastungsdienst Rheintal 114 Klientinnen und Klienten. Er leistete 11431 Stunden Einsatz. Die vier Betreuer und 50 Betreuerinnen deckten in der Summe 157 Nachteinsätze ab. Der Verein bezieht kein öffentliches Geld, er finanziert sich aus Spenden und Mitgliederbeiträgen. Der Stundensatz der Betreuung liegt für AHV-Klienten bei 28 Franken und ist kostendeckend. IV-Klienten zahlen 18 Franken pro Stunde. Der Betrag deckt die Kosten nicht, die Differenz finanziert der Entlastungsdienst aus Spenden. Die Klienten oder Angehörigen rechnen die Entlastungsleistungen nicht mit der Krankenkasse ab. Sie treten in Vorleistung und können eine Rückerstattung bei der Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen beantragen. Dies betrifft zum Beispiel die AHV, IV oder Hilflosenentschädigung.