20.04.2020

«Wir begleiten Sterbende weiter»

Niemand muss allein sterben. Der Hospiz-Dienst Rheintal begleitet nach wie vor hilfsbedürftige Menschen.

Von Monika von der Linden
aktualisiert am 03.11.2022
Monika von der Linden Das Coronavirus bestimmt seit Wochen unseren Alltag. Alles, was wir tun, und alles, was wir lassen, beurteilen wir nach Gesichtspunkten der Pandemie. Jede und jeder fragt sich, ob ein Vorhaben erlaubt ist, oder ob eine lieb gewonnene Gewohnheit für sich oder andere schädlich sein könnte.Das Risiko, das das Virus in sich trägt, muss auch Erika Ulmann abwägen. Die Stellenleiterin des ambulanten Hospiz-Dienstes Rheintal plant die Einsätze der Freiwilligen. «Es gibt noch Menschen, die das Virus nicht in sich tragen und doch Hilfe brauchen», sagt sie. «Wir müssen sowohl unsere Freiwilligen als auch die zu begleitenden Menschen schützen.» Damit Hilfsbedürftige und Sterbende nicht ohne Begleitung bleiben müssen, hat der Verein, der unter dem Präsidium von Jutta Cobbioni steht, seinen Dienst nach kurzer Unterbrechung wieder aufgenommen.15 Freiwillige sind weiter zu Einsätzen bereitAls der Bundesrat am 16. März die ausserordentliche Lage ausgerufen hatte, stoppte der Hospiz-Dienst zunächst alle Einsätze. Erika Ulmann beriet sich mit anderen Hospiz-Diensten und dem Netzwerk Palliativ Ostschweiz. Sie stellte sicher, dass alle nötigen Hygienemassnahmen gewährleistet sind sowie unheilbar kranke und sterbende Menschen begleitet werden können. Seit dem 20. März läuft der Betrieb wieder für jene Menschen, die zu Hause gepflegt werden. Von den sonst 47 einsatzbereiten Freiwilligen, gehören mehr als die Hälfte einer Risikogruppe an oder sind nun beruflich stärker gefordert. Sie schickt Erika Ulmann im Moment nicht in den Einsatz. Mit 15 Begleiterinnen und Begleitern kann sie planen.Bevor ein Freiwilliger eine Patientin oder einen Patienten zum ersten Mal besucht, bereitet Erika Ulmann den Einsatz mit einem persönlichen Besuch genau vor. Aktuell bezieht sie in die Abklärung eine mögliche Erkrankung an Covid-19 ein, fragt nach Symptomen und misst die Körpertemperatur. Auch bei den Angehörigen. Bisher war stets alles in Ordnung. «Wäre jemand mit dem Virus infiziert gewesen, hätte ich eine Begleitung ausgeschlossen.»Die Anfragen sind zurückgegangenDie Anfragen Betroffener oder Angehöriger sind dennoch auf vier zurückgegangen. «Manche wollen nicht, dass wir die Wohnung betreten», sagt Erika Ulmann. «Sie befürchten, dass wir das Virus mitbringen könnten.» Es sei nicht nötig, Angst zu haben. Die Kriterien einer Begleitung sind weitaus strenger als sonst, und Atemmasken liegen bereit. Eine Zusage gibt die Stellenleiterin nur unter dem Vorbehalt, dass ein Freiwilliger konkret bereit ist. Sie möchte nur Menschen zusammenführen, die miteinander harmonieren.Erika Ulmann überlässt es den Freiwilligen selbst, abzuwägen, ob sie Körperkontakt zum Patienten zulassen oder meiden möchten. Berühren können sie ihn an der Schulter, am Arm oder mit dem Handrücken anstelle der Handinnenfläche. In der letzten Phase ihres Lebens haben manche Menschen Angst – wohl mehr vor dem Sterben als vor dem Virus. Dann ist eine gewisse Nähe angezeigt. «Partner und Angehörige hinterfragen es in der Regel nicht, zwei Meter Abstand zu uns zu halten.»Ein schlechtes Gefühl, Menschen alleine lassen zu müssen, hat Erika Ulmann nicht. Sie kann immer noch genug Freiwillige einsetzen. Der Bedarf ist zurückgegangen. Bis 26. April sind nur Notoperationen erlaubt. «Viele Demenzkranke sind nach einer Operation unruhig.» Sie zu besuchen, fällt nun weg.Die Stellenleiterin vermutet, dass recht viele Menschen Respekt vor dem hochansteckenden Virus haben und sich nicht trauen, den Hospiz-Dienst zu kontaktieren. Erika Ulmann ermuntert, mehr Mut aufzubringen. Es sei nicht nötig, sich zurückzuhalten. «Über die Sorgen um das Virus dürfen wir nicht vergessen, dass es viele sterbende und krebskranke Menschen gibt.» Das Gefühl, alleine zu Hause sterben zu müssen, wird bei jenen Menschen verstärkt, deren Angehörige in Vorarlberg wohnen. Wegen der geschlossenen Grenzen dürfen sie nicht zu Besuch kommen.HinweisDer ambulante Hospiz-Dienst Rheintal hält den Telefondienst aufrecht und ist unter der Nummer 071 755 09 09 täglich von 8 bis 17 Uhr erreichbar; der Pikettdienst am Wochenende unter gleicher Nummer.

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