05.07.2018

Wilde Naturgärten ziehen

Wildhaus, Mogelsberg, Schönengrund, Fischingen und Balterswil sind Anwärter auf den Titel «Das schönste Dorf der Schweiz 2018». Welche Kriterien muss ein Ort erfüllen, um als schön zu gelten?

Schönheit kommt von innen. So heisst es zumindest. Trotzdem liegt der Fokus häufig auf den äusseren Werten. Für fast alles gibt es heutzutage Schönheitswettbewerbe. Für Oldtimer. Für Kühe. Für Bonsais. Ja sogar unter Schweizer Ortschaften wird eine «Miss» gekürt. Derzeit sucht die «Schweizer Illustrierte» im Rahmen eines Votings das «schönste Dorf der Schweiz 2018». Nach welchen Kriterien die vierköpfige Jury 50 Dörfer nominiert hat, ist unklar. Fest steht allerdings, dass es auch fünf Ostschweizer Dörfer ins Voting geschafft haben: die beiden Toggenburger Ortschaften Wildhaus und Mogelsberg, das ausserrhodische Schönengrund sowie Fischingen und Balterswil – zwei Dörfer aus dem Hinterthurgau. Schönheit – eine Geschmackssache Was haben diese Dörfer, das andere nicht haben? Und was macht eigentlich ein schönes Dorf aus? Fragen, die laut Landschaftsplaner Dominik Siegrist nicht so leicht zu beantworten sind. Denn wie immer, wenn es um Schönheit geht, liegt sie nicht zuletzt im Auge des Betrachters. «Ein pensionierter Landwirt in einer ländlichen Gegend wird diese Fragen anders beantworten als eine junge Städterin oder ein Tourist aus China», sagt Siegrist. Zudem sei der westeuropäische Schönheitsbegriff nördlich der Alpen ein ganz anderer als in südlicheren oder östlicheren Kulturräumen. Einige Schönheitskriterien gebe es allerdings: «Ein als schön wahrgenommenes Dorf hat etwas Einmaliges an sich und weist historische Besonderheiten auf.»Zudem würden sich schöne Dörfer meist dadurch auszeichnen, dass ihr Ortsbild nicht nur geschützt, sondern auch zeitgemäss aufgewertet werde, erklärt Siegrist. Nicht weniger wichtig seien auch touristische und kulinarische Angebote, eine hohe Wohnqualität und – ganz wichtig – die Umgebung: «Grünräume, unverbaute Kulturlandschaften und Fernsicht erhöhen die Attraktivität eines Orts», erklärt der Leiter des Instituts für Landschaft und Freiraum an der Hochschule für Technik in Rapperswil (HSR). Diese – und viele Kriterien mehr – liefern der Wakkerpreis des Schweizer Heimatschutzes und das Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz von nationaler Bedeutung, kurz Isos. Ein Mix aus inneren und äusseren Werten Doch nicht nur die Lage, Häuser, Infrastrukturen und das daraus entstehende Ortsbild machen ein Dorf schön, sondern auch kulturelle Besonderheiten wie Bräuche und Traditionen. Innere Werte, sozusagen. «Hier spielen Vereine eine wichtige Rolle», erklärt Siegrist. Diese Kriterien dürften der amtierenden Schönheitskönigin, der Ausserrhoder Gemeinde Schwellbrunn, im vergangenen Jahr zum Titel «schönstes Dorf der Schweiz 2017» verholfen haben. Stefan Regez, Co-Chefredaktor der «Schweizer Illustrierten», sagte nach der Bekanntgabe des Siegerdorfs gegenüber dem «Tagblatt»: «Das Schönste an Schwellbrunn sind seine Menschen und das aktive Dorfleben.» Die Gemeinde fördere die zahlreichen Vereine und pflege das traditionelle Brauchtum wie das Bloch oder das Silvesterchlausen, lobte Regez.Dass ein Dorf nicht nur ästhetisch bestechen muss, bestätigt auch HSR-Dozent Dominik Siegrist: «Ein als schön wahrgenommenes Dorf hat ein Dorfleben. Das heisst, die Bevölkerung identifiziert sich mit ihrem Dorf. Kirche, Dorfbeiz, Gemeindehaus, Lebensmittelladen, Schule, Dorfplatz, Feuerwehr – all diese Komponenten tragen dazu bei, dass ein Dorf als Einheit, als Ganzes wahrgenommen wird.» Weniger ist manchmal mehr Während diese Faktoren zur Schönheit eines Dorf beitragen, gibt es auch solche, die störend wirken. Dazu zählen grosse Umfahrungsstrassen, die Zersiedlung mit Einfamilienhausquartieren und Bausünden.Neben diesen Schönheitsmakeln können laut Siegrist aber auch im Grunde positive Attribute wie Ordnung und Sauberkeit die Schönheit eines Ortes trüben. Allzu gepflegt sollte ein Dorf nämlich nicht sein, betont der Landschaftsplaner und Geograf: «Ein gepflegtes Erscheinungsbild wird in der Schweiz manchmal auch als zu ‹gepützelt› wahrgenommen, als überrenoviert, überdesignt.» Siegrist macht ein Beispiel: Gepflegte Geranienrabatten würden heutzutage von manchen als langweilig, spiessig und provinziell abgestempelt. Demgegenüber seien wilde Natur- und Bauerngärten sehr populär. «Manche Schweizer fahren darum nach Südeuropa, weil viele Dörfer noch authentischer wirken. Das Schönheitsideal ist dort eben ein anderes.»Glücklich macht sie nichtWildhaus, Mogelsberg, Schönengrund, Fischingen oder Balterswil? Kann eine dieser Ortschaften den Titel «schönstes Dorf» in der Ostschweiz halten? Laut Siegrist zeigen sich bei allen Nominierten drei zentrale Schönheitsmerkmale: «Die Dörfer weisen alle eine geschlossene Siedlungsstruktur auf, besitzen viele schöne, alte Bauten und liegen mitten im Grünen.» Basierend auf den Kriterien, die der Wakkerpreis und das Isos vorgeben, schätzt der Landschaftsplaner die Gewinnchancen von Mogelsberg am höchsten ein. Er begründet: Das Toggenburger Dorf lebe. Es besitze eine gewisse Grösse und habe alles, was ein Dorf haben müsse, damit es als schön bezeichnet werden könne.Dem Voting der «Schweizer Illustrierten» steht Siegrist kritisch gegenüber. Er fragt: «Reicht Schönheit als Hauptkriterium, um das schönste Schweizer Dorf zu küren? Ginge es nicht auch um die Lebensqualität, die ein Dorf seinen Bewohnern bietet? Denn Fakt ist: Ein schönes Dorf ist nicht unbedingt ein glückliches Dorf.»

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