25.10.2020

Wieder Gold auf der Bahn für den Biker

Simon Vitzthum betrat das Velodrome in Genf als Titelverteidiger in der Ausscheidung und verliess es als Schweizer Meister im Scratch.

Von Yves Solenthaler
aktualisiert am 03.11.2022
Sehr viel früher hiess die Disziplin «Malfahren», wobei «Mal» für Ziellinie stand. Inzwischen wird die Rennform auch im deutschen Raum «Scratch» genannt. Als englisches Verb bedeutet das «kratzen», kann aber auch als Synonym von «Start­linie» verwendet werden, was hier wohl gemeint ist.Die Wortschöpfung ist nicht unbedingt erklärend, der Modus dagegen ungewohnt einfach für den Bahnradsport: Im Scratch gewinnt, wer eine bestimmte Distanz am schnellsten zurücklegt. Das Rennen beginnt mit einem Massenstart – wer einen Rundengewinn erzielt, hat also einen entscheidenden Vorteil. Simon Vitzthum gewann an den Schweizer Meisterschaften in Genf eine Gold- und eine Silbermedaille. (Archivbild)Knapp verlorenes Duell mit dem Bahn-LehrmeisterDieser gelang Vitzthum in der ersten von drei Meisterschaftsdisziplinen auf dem 166,66-Meter-Oval in Genf zusammen mit Lukas Rüegg. Im Sprint nach 90 Runden setzte sich der Rhein­ecker gegen den Zürcher durch, der vor knapp einem Jahr einen Weltcupsieg in der Mannschaftsverfolgung feierte.Einer von Rüeggs Teamkollegen war der 30-jährige Claudio Imhof. Der Thurgauer stellte vor rund einem Monat in Grenchen den Schweizer Stundenrekord auf (52,116Kilometer). Er war es auch, der Mountainbiker Vitzthum im Frühjahr 2018 ermuntert hatte, auf der Bahn Rennen zu bestreiten. Am Samstag war der Rheinecker auf dem Weg dazu, Imhof den Schweizer Meistertitel im Punktefahren zu entreissen. Dank ei­nes Rundengewinns, der je 20 Punkte einbrachte, setzten sich die beiden deutlich an die Spitze. Vor der letzten, der 18. Wertung nach 30 Kilometern lag Vitzthum acht Punkte voraus. Im letzten Sprint wird die doppelte Anzahl Punkte verteilt, dennoch hätte Vitzthum ein dritter Platz gereicht, um das zweite Meistertrikot des Tages zu holen. Aber er wurde vor dem Sprint eingeklemmt («mein einziger Fehler in diesem Rennen») und musste mit ansehen, wie Imhof zum Schweizer Meistertitel raste. «Bei jedem anderen Sieger hätte mich dieser Ausgang mehr geschmerzt», konnte sich Vitzthum schon schnell über die Silbermedaille freuen. Dass er vorher Gold gewonnen hatte, dürfte auch dazu beigetragen haben. Danach entschieden sich Imhof und Vitzthum spontan, auch das Madison zu bestreiten, das nicht als Schweizer Meisterschaft zählte. In einem Team dominierten sie nach Belieben: Vitzthum/Imhof gewannen alle Wertungen und holten mehrere Rundengewinne heraus.Vor einem Jahr wurde Vitzthum Schweizer Meister in der Ausscheidung (der Letzte eines Sprints muss sich verabschieden). In Genf schied er aber schon als Fünftletzter aus, die Routiniers blieben am längsten im Rennen: Tristan Marguet (33-jährig) siegte vor Imhof.Simon Vitzthum musste zwar einen Schweizer Meistertitel abgeben, gewann aber einen anderen – und dazu noch eine Silbermedaille nach einem herausragenden Rennen.Der nun zweifache Schweizer Bahnmeister war glücklich: «Ich habe heute gezeigt, dass ich sehr viel Power habe», sagt Vitzthum. Daran begann er selbst langsam zu zweifeln, nachdem er die Cross-Country-Saison nach dem Re-Start «in den Sand gesetzt hatte» (zeitungsgerechte Umschreibung von Vitzthums Wortlaut): «Sicher ist: Ich hatte einen Fehler in meinem System. Ich fand ihn bisher aber nicht.»Offenbar ist er nach dem Medaillensegen auch ausgemerzt: Im zum Swiss Bike Cup zählenden Short Race in Hochdorf LU siegte Vitzthum am Sonntag, direkt von Genf kommend, vor den U23-EM-Medaillengewinnern Vital Albin und Joel Roth. Ab Dienstag kann er mit dem Bahn-Nationalteam an einer Trainingswoche teilnehmen, in einer Woche nimmt er an der Schweizer Strassenmeisterschaft teil. Vitzthum wagt den Schritt zum MountainbikeprofiWie die Bahnsaison für ihn weitergeht, weiss Vitzthum noch nicht: «Bis vor einer Woche stand ja nicht mal der Termin für die Schweizer Meisterschaften.» Radquers hat er nicht geplant: «Meine zwei Quervelos habe ich Nico Grab aus Thal ausgeliehen.»  Im Frühling möchte Vitzthum in seiner angestammten Disziplin Mountainbike wieder angreifen. Bisher arbeitet er mit einem Halbpensum als Velo­mechaniker bei seinem früheren Teamchef Christof Bischof (Bischibikes in Rorschach). Vitzthum hat die Stelle auf Ende Jahr gekündigt und bestreitet die nächste Saison als Vollprofi, so erhält er mehr Zeit für die Erholung vom harten Training. Nicht nur deshalb hofft der Vielfahrer im nächsten Jahr darauf, mehr Rennen bestreiten zu können: «Ich war aber einer von wenigen Bikern, der mehr als 20 Renn­tage geschafft hat.»

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