Manche erinnern sich an die Worte Jesu: «Wenn dich jemand auf deine rechte Wange schlägt, dem halte auch die andere hin!» Aber mal ehrlich: Wer tut das schon? Bevor ich selbst zum Opfer werde, wehre ich mich und schlage lieber zurück – zumindest mit kräftigen Worten! Nein, ich lasse mir von niemandem die Butter vom Brot nehmen.
Unser Rechtssystem beruht auf dem Grundsatz: «Gleiches wird mit Gleichem oder Gleichwertigem vergolten.» Das eigentliche Prinzip der ausgleichenden Gerechtigkeit ist nicht von vornherein negativ zu bewerten. Der Ausgleich zwischen Leistung und Gegenleistung, das Prinzip der Wechselseitigkeit, ist die Basis unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens.
Die Bibel konfrontiert uns mit hohen ethischen Ansprüchen. Christinnen und Christen sollen gegenüber jedem Menschen auf Gutes bedacht sein, mit allen Frieden halten, keine Rache üben und vor allem dies: Böses eben gerade nicht mit Bösem, also mit Gleichem vergelten, sondern mit Gutem! Die Begründung liegt darin, dass Gott nicht über uns nach menschlichen Massstäben urteilt, sondern nach dem Massstab seiner Liebe.
Wer selbst Barmherzigkeit erfahren hat, der kann anderen gegenüber nicht unbarmherzig sein. Wer in dem Bewusstsein lebt, dass Gott ihm freundlich entgegenkommt, der wird versuchen, andere freundlich zu behandeln. Das ist das eine. Und das andere: Wir erleben selbst, wie die Spirale des Bösen durch Böses immer weiter angetrieben wird. Angriff ruft Gegenangriff hervor; Gewalt wird mit Gegengewalt beantwortet; ein böses Wort gibt das andere; wer provoziert wird, schlägt zurück.
Wohin das führt, erleben wir in kleinen, alltäglichen Auseinandersetzungen, die oft in einem erbitterten Streit oder gar mit einem endgültigen Bruch enden.
Was aber, wenn einer aussteigt? Wenn da eine ist, die nicht Gleiches mit Gleichem aufwiegt, sondern mit Gutem auf Böses reagiert?
Ich gefalle mir besser, wenn es mir gelingt, ruhig zu bleiben und freundlich zu sein: dem anderen den Vortritt lasse; auf eine Beschimpfung mit einer Entschuldigung reagiere; das Gespräch mit derjenigen Person, die mich verletzt hat, suche; in Ruhe argumentiere und zuhöre, ohne dass mir der Geduldsfaden reisst.
Auch wenn es mir nicht immer gelingt, so lohnt sich jeder Versuch. Damit werde ich das Böse nicht ganz aus der Welt schaffen, aber ich fühle mich besser.