Nach Mitternacht. Ich erwache. Traumfetzen im Raum. Aufräummorgen im Militär. Überall wird verpackt, verstaut. Soldaten irren ziellos umher. Mein Rucksack – wo ist er? Ein Kamel hinter dem Zelt. Und schon wieder weg. Mein Gott. Selbst in der Nacht hat meine Seele keine Ruhe. Ich setze mich auf. Atme tief durch. Ja, meine Seele. Ein unterirdisches Labyrinth. Untertags jagen sich Tausende von Gedanken, Fragen, Überlegungen. Irgendwo dunkle Räume, gefüllt mit Sehnsüchten. Noch versteckter – geheime Ängste. Unerfüllte Wünsche. Wage Erwartungen. Geschichten und Bilder, die bleiben.François Cheng, 88-jähriger Philosoph aus China, in Paris. Er sitzt auf einer Bank. Da öffnet sich ihm gegenüber im Wohnblock ein Fenster. Und eine Frau beginnt zu singen. Wunderbar. Ein Stück Himmel auf Erden. Die Melodie berührt François. Tränen rollen über seine Wangen. Kontrapunkt. Ein Video auf dem Handy – von John, einem Kollegen aus der Republik Kongo: Ein Dutzend Polizisten prügeln eine junge Frau; vor Schmerzen gekrümmt auf dem Boden schreit sie um Hilfe; doch niemand kommt ihr zu Hilfe. Nächste Assoziation: Brigitte liegt im Spital. Befund Lungenkrebs. Ich liebe diese Stille der Nacht. Sie lässt meine Seele atmen. Nachklingen. Ich horche hinein. Darf loslassen. Wie hält das unsere Seele aus? So viele Geräusche, Worte und Bilder. Tag für Tag. Millionen Bilder aus aller Welt in unseren Medien. Katastrophen. Erschütterndes, das abtropft wie Wasser auf imprägnierten Sportjacken. Dieses Chaos, ein Mix aus Frohem und Schwerem, Zerstörerischem und Lebendigem. Und so mancher Schmerz, ganz im Geheimen. Wo finden wir die Kraft, all das auszuhalten, durchzutragen, loszulassen oder zu überwinden?Ich bin froh um die Fastenzeit oder, wie die Evangelischen sagen, um die Passionszeit. Am Sonntag hörte ich im Evangelium, Jesus sei in der Wüste vom Teufel versucht worden. Nehmen Sie es als ein Bild dafür, dass er zu ringen und zu kämpfen hatte. Er ist kein Strahlemann, der über der Realität schwebt.Er setzt sich mit dem Elend und der Brutalität des Alltags auseinander. Er ringt. Hat Mitleid mit den Mitmenschen in Not. Er vergibt, statt sich zu rächen. Er tut etwas gegen das Leid – so gut er kann. Es hält es aus, wo es nicht anders geht. Und stirbt am Kreuz – im Vertrauen auf Gott – auch wenn er ihn und seine Pläne nicht versteht. Ich bin dankbar, dass Jesus von Nazareth mit mir, mit uns auf dem Weg ist. Philipp HautleRebstein