18.05.2018

Wie ein 100 Jahre altes Facebook

Das Museum Prestegg hat fast 700 rund hundertjährige Glasplattennegative digitalisiert und die Fotografien online gestellt. Die Museumsgesellschaft hofft nun auf Hinweise, wer darauf abgebildet ist.

Von Max Tinner
aktualisiert am 03.11.2022
Max TinnerNoch nie wurde so viel «gfötelet» wie heute. Smartphones und soziale Medien haben einen Boom ausgelöst. Aber schon vor 100 Jahren lag den Leuten viel daran, die bewegendsten Momente ihres Lebens festzuhalten. Allerdings war das Fotografieren früher viel umständlicher. Foto­apparate und Zubehör waren klobig, schwer und teuer, die Handhabung umständlich, nur etwas für Profis. Wollte man ein Foto von sich und seiner Familie, ging man zum Fotografen.Einer dieser professionellen Fotografen war Jakob Zellweger, der eigentlich Schneider mit einem Geschäft an der Altstätter Ringgasse war, nebenbei aber ab etwa 1920 auch ein Fotoate­-lier betrieb. Zellweger verwen­dete noch eine Kamera, die das Bild auf eine lichtempfindliche Schicht auf einer Glasplatte belichtete. Das Museum Prestegg besitzt an die 700 solcher Glasplattennegative aus dem Nachlass Zellwegers. Sie haben allerdings das Ende ihrer Haltbarkeit erreicht. Von vielen beginnt die Fotoschicht abzublättern; auch das gläserne Trägermaterial hat teils schon gelitten. Damit droht das historische Bildmaterial verloren zu gehen, was tragisch wäre: «Man findet kaum Foto­grafien von früher», sagt Fredi Frei vom Vorstand der Museumsgesellschaft Altstätten, «darum springt man fast vor Freude, wenn man solch eine Sammlung in die Hände bekommt.»In einer aufwendigen Aktion wurden die Fotografien nun gescannt, damit die Bilder künftigen Generationen erhalten bleiben. Mitgeholfen haben dabei Studenten und der Kulturgüterschutz. Die Museumsgesellschaft hat zudem alle Fotografien ins Internet gestellt und so das Bildmaterial für jedermann zugänglich gemacht.Soldaten, Brautpaare und Kinder – auch verstorbeneEs sind grösstenteils Ganzkörperporträts, aufgenommen im Atelier. Die Leute trugen zum Fototermin festliche Kleidung, Männer posierten auch in Uniform. Manche liessen sich in einem Kostüm ablichten, vor einem dazu passenden Hintergrund. Das entsprach dem damaligen Zeitgeist. Auch Vereinsfotos finden sich, solche von Musikgesellschaften und von Theatergruppen etwa. Auch Schulklassen­bilder sind bereits vereinzelt darunter. Dann wieder Fotos von Hochzeitspaaren, von Kleinkindern, von ganzen Familien, ja sogar von verstorbenen Kindern. Freud und Leid liegt nur eine Glasplatte voneinander. Bei aller Ernsthaftigkeit, die viele Fotografien ausstrahlen, ahnt man doch, wie viel Liebe die Leute zum Gang zum Fotografen motiviert haben mag.Das Bildmaterial ist allerdings so gut wie gar nicht dokumentiert. Die Museumsgesellschaft hofft darum auf regen Besuch auf der Internetseite mit den Bildern – und auf Rückmeldungen darüber, wer bzw. was auf den Fotografien abgebildet ist. Gut möglich, dass Nachkommen der Auftraggeber diese wiedererkennen oder sogar einen Abzug desselben Bildes in einem alten Familienfotoalbum haben.Grundstock für Rheintaler BilddatenbankDie Digitalisierung des Bildmaterials Jakob Zellwegers soll ausserdem erst der Anfang sein. Der Museumsgesellschaft Altstätten schwebt vor, zusammen mit anderen Institutionen eine Rheintaler Bilddatenbank mit historischem Bildmaterial aufzubauen. Vor diesem Hintergrund hat auch die Rheintaler Kulturstiftung das Projekt unterstützt.HinweisMehr zum historischen Bildma­terial auf www.museum-altstaet ten.ch/ausstellungen/historische-bilder. Hier findet man auch den Link zur Bilddatenbank. Hinweise zu den Personen oder Objekten auf den Bildern sind erbeten an bilder@museum-altstaetten.ch.

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