26.01.2020

Wer verschläft, zahlt eine Busse

In der Lehrwerkstatt der SFS Group AG werden bei einem Fehlverhalten der Jugendlichen Geldstrafen fällig.

Von Benjamin Schmid
aktualisiert am 03.11.2022
Was tun, wenn Lernende dauernd zu spät kommen, die Arbeiten nicht erledigen und ihren Arbeitsplatz dreckig verlassen? Reicht ein Gespräch, braucht es schriftliche Verwarnungen oder gar Geldstrafen?Gemeinsam Regeln bestimmenIn der Lehrwerkstatt der SFS Group werden bei Verfehlungen Beiträge in die Teamkasse geleistet. Kommen Lehrlinge zweimal ohne Abmeldung zu spät, kostet es fünf Franken, halten sie die Arbeitszeiten zweimal nicht ein, ebenfalls. Wird das Handy nicht am richtigen Ort abgelegt, kostet es 20 Franken und wenn der Ämtliplan nicht eingehalten wird, zehn Franken. «Für alle Lernenden gelten verbindlich die Interventionsmassnahmen aus dem ‹A – Z für Lernende›, welches das Element der Beiträge in die Teamkasse nicht enthält», sagt Claude Stadler, Mitglied der Geschäftsleitung. «In der Lehrwerkstatt hat sich das Team darüber hinaus dazu entschlossen, weiterführende Verhaltensregeln aufzustellen, die zum Beispiel die erwähnten Beiträge in die Teamkasse enthalten.»In den meisten Abteilungen ausserhalb der Lehrwerkstatt orientieren sich die Lernenden am Arbeitsverhalten ihrer erwachsenen Berufskollegen und passen sich an. In der Lehrwerkstatt, wo 40 bis 50 Lernende aufeinandertreffen, entwickelt sich oft eine eigene Dynamik. Deshalb wurden gemeinsam mit den Lernenden Verhaltensregeln und entsprechende Massnahmen bei Fehlverhalten festgelegt. «Entstanden sind Abmachungen und Massnahmen, die der Erziehung und Vorbeugung von Interventionsmassnahmen dienen sollen und nicht das Ziel haben, die Teamkasse zu füllen», sagt Claude Stadler. Das Geld wird ausschliesslich für Aktivitäten verwendet, die die Teamentwicklung unterstützen.Die Rechtsgrundlageist umstritten«Die Frage nach der nötigen Rechtsgrundlage ist umstritten», sagt Philipp Thomas, Leiter Rechtsabteilung bei der Gewerkschaft Unia. Vereinzelt werde die Meinung vertreten, eine Vereinbarung von Ordnungsstrafen im Einzelarbeitsvertrag sei ausreichend. «Wir vertreten die Meinung, dass Ordnungsbussen nur dann zulässig sind, wenn sie in der Betriebsordnung (BO) vorgesehen sind.»Die BO der SFS Group wurde vom Arbeitsinspektorat am 18. Juni 2014 bewilligt. Zu den Abmachungen und Massnahmen haben die Lernenden aus freien Stücken Ja gesagt. Sie sind kein integraler Bestandteil des Lehrvertrags. «Es ist also nicht davon auszugehen, dass die Bussen Teil einer durch den Kan-ton geprüften Betriebsordnung sind», sagt Philipp Thomas. Das ist aber auch nicht nötig. «Abmachungen, die nicht nur informellen Charakter haben, sondern für die Angestellten verbindlich sind, können in internen Personalreglementen niedergeschrieben werden», sagt Claudia Ruf-Bopp vom Amt für Wirtschaft und Arbeit. «Die Prüfung dieser Reglemente gehört nicht zu unseren Aufgaben.»«Wer die freiwillige Vereinbarung nicht unterschreibt, muss nicht mit Konsequenzen rechnen», sagt Claude Stadler. Für alle, die nicht unterschreiben, gelten die Interventionsmassnahmen aus dem «A – Z für Lernende». Die Vereinbarung sei im Dialog mit allen Beteiligten entstanden und werde halbjährlich geprüft. «Im Austausch mit den Lernenden versuchen wir, bestmögliche Voraussetzungen zu schaffen, damit alle von der Ausbildung profitieren», sagt Stadler.Für Thomas Geiser, Professor für Privat- und Handelsrecht an der HSG, sind diese Bussen höchst problematisch und kaum zulässig. «Grundsätzlich handelt es sich bei diesen Bussen um sogenannte Konventionalstrafen.» Sie können in einem Arbeitsvertrag in moderatem Masse vereinbart werden, sind aber nur als Disziplinarstrafen zulässig und setzen eine freiwillige Vereinbarung voraus. Vorliegend sei aber das Problem, dass die Lernenden in einem starken Abhängigkeitsverhältnis zum Arbeitgeber stehen, sodass die Freiwilligkeit der Vereinbarung fraglich erscheine. «Wo ist das Interesse des Lernenden an einem solchen Vertrag?», fragt Geiser, «er wird kaum bereit sein, eine Verpflichtung einzugehen, ohne dafür eine Gegenleistung zu erhalten.» Lernende belohnen statt bestrafenWie sollen Arbeitgeber ihre Lernenden disziplinieren? Rheintaler Firmen gehen unterschiedlich vor. In einem Punkt sind sich alle einig: Der Jugend von heute mangelt es nicht unbedingt an Disziplin. Zumindest lässt sich dies nicht pauschalisieren.Es gibt keinPatentrezeptEs gibt unterschiedliche Methoden, wie gewünschtes Verhalten von Lernenden gefördert werden kann. Bei «libs – industrielle Berufslehren Schweiz» greift man auf die Erfahrung der Berufsbildner zurück und pflegt einen wertschätzenden Umgang sowie eine Kommunikation auf Augenhöhe. «Die Generation Z ist in der Lehre angekommen», sagt Peter Van Caenegem, Standortleiter bei libs, «sie arbeitet nicht mehr für ihren Arbeitgeber, sondern mit ihm.» Respekt und Achtung sind ebenso wichtig, wie Grenzen zu setzen. Unter den Lernenden wird diskutiert, sich untereinander ausgetauscht, man will sich wohlfühlen. «Statt zu strafen, belohnen wir», sagt Peter Van Caenegem. Nebst einer hohen Wertschätzung werden regelmässig Lernende des Monats auserkoren. Dabei zählen nicht nur Noten und Leistung, sondern auch die Hilfsbereitschaft, Loyalität, Teamarbeit und Motivation. Trotzdem sei es wichtig, den Lernenden zu zeigen, dass ihr Verhalten Konsequenzen haben kann. Wenn Gespräche und schriftliche Zielvereinbarungen nicht zum gewünschten Erfolg beitragen, zielen nachhaltigere Fördermassnahmen auf die Freizeit der Lernenden ab. «Diese ist ihnen wichtig und es schmerzt sie, wenn sie abends mal länger bleiben müssen», sagt der Standortleiter von libs.Bei der Jansen AG gibt es ein Anstellungsreglement für alle Mitarbeiter, zusätzlich wird den Lernenden ein Reglement abgegeben. «Ausserdem können die verschiedenen Abteilungen auch Sonderregeln erstellen», sagt Mathias Baumgartner, Verantwortlicher Berufsbildung bei Jansen. Bei problematischem Verhalten komme die Erfahrung der Berufsbildner zum Tragen: «Bringt das bilaterale Gespräch keinen Erfolg, werden Massnahmen schriftlich festgehalten und Zielvereinbarungen notiert», sagt Mathias Baumgartner. In Zusammenarbeit mit dem Berufsbildner, dem Lernenden und den Eltern komme es zu einer stufenweisen Verschärfung der Massnahmen. Die Leistung im Betrieb, in der Schule, und das Verhalten des einzelnen Lernenden werden halbjährlich beurteilt und mit dem Lernenden besprochen. Die Lernenden erhalten einen Leistungslohn, so ist der Anreiz, gute Leistungen zu erbringen, vorhanden.Cornelia Grill, Leiterin Berufsbildung bei der Sefar AG, glaubt nicht, dass Lernende heute grössere Probleme mit der Disziplin haben als früher. «Die Schwierigkeiten entstehen mit dem Übertritt von der Oberstufe in die Lehre», sagt sie. Haben die Lehrer früher vieles bestimmt und die Eltern die Kinder von der Schule abgemeldet, so müssen sie plötzlich alles selber machen. «Gefragt sind mehr Eigenverantwortung und Selbstständigkeit», sagt die Leiterin Berufsbildung.Daher sei es nötig, bei der Schnupperlehre nicht nur die positiven Aspekte der Lehre hervorzuheben, sondern auch die negativen Seiten anzusprechen. «Generell ist es unsere Philosophie, der Vorauswahl der Lernenden besonderes Gewicht zu geben», sagt Simone Gmeiner, Lehrlingsbetreuerin der Dachcom.ch AG. Es gehe darum, die richtige Berufswahl zu treffen und herauszufinden, ob sie dem Talent und den Wünschen der Bewerbenden entspricht. Damit ist die Basis für einen motivierten Berufseinstieg gelegt.»Jedes Quartal ein GesprächAuch Jürg Federer, technischer Kaufmann bei Bruno Federer Metallbau – Heizungen, findet, Lernende seien nicht weniger diszipliniert als früher. «In den letzten Jahren mussten wir keine disziplinarischen Massnahmen ergreifen. Bei uns gibt es jedes Quartal ein Gespräch, in dem allfällige Probleme frühzeitig angesprochen werden.» Nur wenn beide Seiten genau wissen, worauf sie sich einlassen, komme es zu einem guten Abschluss der Lehre.

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