22.02.2021

Wer trägt Schuld am Vogelschwund?

40 Prozent der Brutvögel sind bedroht. Obwohl nicht alle Vogelbestände sinken, muss für einzelne Arten mehr getan werden.

Von Benjamin Schmid
aktualisiert am 03.11.2022
«In den letzten drei bis vier Jahren, ganz besonders seit einem Jahr, habe ich festgestellt, dass der Singvogelbestand nicht bloss stark zurückgegangen ist, sondern dass diese Tiere fast verschwunden sind», schrieb Peter Zünd aus Oberriet in einem Leserbrief. Tatsächlich ist in den Medien europaweit immer wieder vom Vogelschwund die Rede. Was ist damit gemeint, wie viel Wahrheit steckt dahinter und wer ist an einem allfälligen Verlust der Artenvielfalt bei den Vögeln schuld?Immer weniger Feldvogelarten«Das St. Galler Rheintal hat im schweizweiten Vergleich eine grosse Vogelvielfalt aufzuweisen», sagt Dominic Frei, Umweltingenieur und Mitglied beim Verein Pro Riet, «trotzdem nimmt die Anzahl der Brutvogelarten in Teilen des Rheintals ab.» Verbreitete Arten werden häufiger und bedrohte Vogelarten rarer. Feldvögel zeigten einen stark negativen Trend, während die Bestände vieler Waldvogelarten zunehmen.«Der tatsächliche und dramatische Rückgang zahlreicher Arten betrifft Vögel, die in Feuchtgebieten oder im Landwirtschaftsgebiet vorkommen», sagt Livio Rey, Mediensprecher der Vogelwarte Sempach, «nicht die Vögel im Garten, die alle zu den häufigen und nicht gefährdeten Arten gehören.» Die fehlenden Vögel am Futterhaus im Garten seien so zu erklären: Diesen Winter fanden die Vögel in den Wäldern und Hecken noch viel Nahrung und mussten daher nicht die Gärten aufsuchen.Intensive Landwirtschaft schadet den VögelnSeit über 60 Jahren nimmt Walter Gabathuler vom Naturschutzverein Am Alten Rhein an Vogelzählungen teil. «Viele Vogelarten, die früher in grosser Zahl gesichtet wurden, sieht man heute nur noch selten oder gar nicht mehr brüten.» Nicht nur die Vogelwelt habe gelitten, sondern die ganze Biodiversität.Von einem regelrechten Kahlschlag spricht Kurt Moor von der Naturschutzgruppe Alta Rhy: «Von Au bis Rüthi sind seit etwa 1960 rund 20 Vogelarten ausgestorben.» Mit der Melioration habe der Abwärtstrend der Vogelwelt angefangen. Dann kam die mechanisierte und intensivierte Landwirtschaft. Seither hätten vor allem Bodenbrüter kaum Chancen, eine Brut erfolgreich zu beenden. «Im Wald, der sich kaum verändert hat, sind die Vogelarten noch vorhanden», sagt Kurt Moor. Man könne aber kaum den Bauern die Schuld zuschieben, sondern den Menschen allgemein. So tragen der Klimawandel und der Einsatz von Pestiziden ebenso ihren Teil zum Vogelschwund bei.Livio Rey sieht es anders. «Die Landwirtschaft trägt eine Verantwortung.» Zahlreiche Studien zeigten, dass intensive Landwirtschaft nicht gut für die Vögel ist. «Es braucht eine Senkung der eingesetzten Dünger- und Pestizidmengen, weniger Wiesenschnitte pro Jahr, mehr Biodiversitätsförderflächen und von höherer Qualität», sagt der Biologe. Aber auch die Zersiedelung, die monotonen Landschaften ohne Kleinstrukturen, die fehlenden natürlichen Ufer sowie der Druck durch Freizeitaktivitäten bedrohen die Vogelwelt.«Intensive Landwirtschaft führt zu einer drastischen Abnahme von Feld- und Kulturlandvögeln», sagt Dominic Frei, «durch den Ausbau von Biodiversitätsförderflächen und Vernetzungsstrukturen an geeigneten Orten könnte diesem negativen Trend Einhalt geboten werden.» Ebenso liessen der Kulturland- und Lebensraumverlust durch Ausbreitung des Siedlungsraums, die Klimaveränderung und die Störungen durch Freizeitaktivitäten den Druck auf die Vögel wachsen.Nicht erwiesen, aber es ist davon auszugehen«Bei allen Veränderungen in der Natur und Umwelt wird die Landwirtschaft als Verursacher genannt», sagt Andreas Widmer, Geschäftsführer des St. Galler Bauernverbands. Auch zu der Entwicklung der Feldvögel gebe es verschiedene Studien mit dem Fazit: Es ist wissenschaftlich nicht erwiesen, aber davon auszugehen, dass die intensive Landwirtschaft Grund ist für den Rückgang. «Dabei wird ausgeblendet, dass die Siedlungsentwicklung, die Zunahme der Bevölkerung und die Klimaentwicklung die eigentlichen Ursachen sind», sagt Andreas Widmer. Die Siedlungs- und Verkehrsflächen hätten mittlerweile immensen Einfluss auf Flora und Fauna.Ausserdem hätten aufgrund der veränderten Konsumnachfrage die Anbauflächen geändert. Gemüse wird produziert und neue Spezialkulturen angebaut. «Es ist nicht die Intensität, sondern die veränderte Flächennutzung, die einen Einfluss auf die Artenvielfalt bei den Brutvögeln hat», sagt der Geschäftsführer.Verantwortlich für die Veränderungen in den Vogelpopulationen seien natürliche Entwicklungen, Änderung der hydrologischen Verhältnisse, Sport und Freizeit, Prädation (Konkurrenz unter den Arten), Biozide, Chemikalien, Fischerei, Klimawandel, das forstwirtschaftliche Flächenmanagement und die landwirtschaftliche Nutzungsänderung. «Biodiversität fängt im Kleinen an», sagt Andreas Widmer, «indem wir unseren Lebensstandard anpassen, weniger konsumieren und wegwerfen, die Umweltbelastung reduzieren und selbst einen Teil zur Biodiversität beitragen.»

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