15.01.2022

Weniger Heimweh dank Corona

Trotz abgesagter Auftritte hatte Hackbrettler Nicolas Senn die letzten zwei Jahre genügend zu tun. Das Reisen vermisst der Gaiser kaum.

Von Karin Erni
aktualisiert am 02.11.2022
Nicolas Senn tanzt auf vielen Hochzeiten: Nebst den Auftritten mit dem Hackbrett ist er Moderator von Fernsehsendungen und Musikanlässen. Zudem unterrichtet er als Hackbrettlehrer an zwei Musikschulen. Nach jahrelang stets ausgebuchten Wochenenden habe er im Februar 2020 eine auftrittsfreie Zeit geplant, so der Wahlappenzeller, der seit 2009 in Gais wohnhaft ist. «Es sollte eine Art Mini-Sabbatical werden. Deshalb habe ich für diesen Monat keine Termine angenommen.» Doch während der Auszeit kam Corona und schon bald der erste Lockdown. Sein Terminkalender habe sich kontinuierlich geleert, so der 32-Jährige. «Da bin ich schon etwas erschrocken.»TV-Produktion auf der Hohen BucheIn dieser Situation erwies sich seine Vielseitigkeit als Glücksfall. «Die Fernsehsendungen fanden glücklicherweise während der ganzen Pandemiezeit statt», so Nicolas Senn. «Allerdings mussten wir uns etwas einfallen lassen, um die Produktion entsprechend den geltenden Massnahmen zu ermöglichen.»Als die Fünf-Personen-Regel eingeführt wurde, habe er sich mit einem vierköpfigen TV-Team auf der Hohen Buche getroffen und dort drei Sendungen aufgezeichnet, erinnert sich der Volksmusiker. «Wir haben eine Auswahl an bereits aufgezeichneten Musikstücken getroffen und diese neu zusammengestellt. Ich musste sie nur noch anmoderieren.» Um etwas Abwechslung zu haben, sei einmal Richtung Säntis und einmal gegen den See hinunter gefilmt worden. Weil die Restaurants geschlossen waren, hat er die Fernsehleute anschliessend zum Mittagessen bei sich zu Hause zu «Ghackets und Hörnli» eingeladen. Seither findet die Sendung Potzmusig wieder alle zwei Wochen mit Livemusik, aber ohne Publikum an verschiedenen Orten in der Schweiz statt.Mehr Zeit für HobbysAm Anfang der Pandemie habe er einen Monat freiwillig Zivilschutz geleistet, erzählt Nicolas Senn. «Man wusste ja damals nicht, wie schlimm es werden wird und hatte die erschreckenden Bilder aus Norditalien im Kopf.» Rückblickend kann er der erzwungenen Ruhepause auch Gutes abgewinnen: «Mir war nie langweilig. Ich nutzte die auftrittsfreie Zeit für ausgedehnte Bergtouren.» Er sei in dieser Zeit auch wieder mehr zum Fotografieren gekommen. Heute übt er die Tätigkeit nur noch als Hobby aus. Der Autodidakt war aber zeitweise als Fotograf für verschiedene Zeitungen und Agenturen sowie für den FC St. Gallen unterwegs.Nicolas Senn genoss pandemiebedingt auch eine neue Form des Soziallebens. «Nun konnte ich meine Freunde im kleinen Kreis zum Essen oder gemütlichen Jassabend einladen und alle hatten immer Zeit.» Doch die Geselligkeit hatte ihren Preis, erinnert er sich lachend: «Als ich nach dem Lockdown die Trachtenhose für einen Auftritt anziehen wollte, musste ich die Luft ziemlich fest anhalten, um reinzukommen.» Er sei in den vergangenen Monaten auch wieder mehr zum Komponieren gekommen. Für das diesjährige Neujahrskonzert mit dem Salonorchester argovia philharmonic seien auch einige seiner Kompositionen einstudiert worden, freut sich Senn. «Das ist der Traum eines jeden Musikers, wenn ein ganzes Orchester sein Stück spielt.»Die vielen Absagen und Verschiebungen hätten zudem dazu geführt, dass die Büroarbeit im Lockdown nicht wirklich abgenommen habe, so Nicolas Senn. Seine Musikerkollegen seien unterschiedlich von den Massnahmen betroffen gewesen: «Insbesondere in der Volksmusik arbeiten viele weiterhin in ihren erlernten Berufen, beispielsweise als Handwerker, und waren dort oft sehr gefragt.» Seine professionellen Mitmusikerinnen aus dem Klassikbereich habe es natürlich sehr getroffen. «Wir sagen manchmal scherzhaft zueinander, dass Corona uns Musiker zu Saisonniers gemacht hat, die nur im Sommer Arbeit haben.» Die ländliche Bevölkerung ist ja bekanntermassen oft massnahmen- und impfkritisch. Wie erlebt er diese Situation? «Einige sind kritisch und verzichten als Folge davon auch auf Engagements. Andere sind dankbar, dass endlich wieder Anlässe möglich sind und wir unsere Leidenschaft ausleben dürfen.» Letztlich müsse das jeder für sich entscheiden, findet Senn. «Insbesondere in den letzten Monaten habe ich auch beim Publikum eine riesige Freude und Dankbarkeit gespürt, dass man sich wieder treffen und Konzerte geniessen darf.» Reisen stehen noch nicht zur Diskussion In früheren Jahren hat Nicolas Senn regelmässig Auftritte im Ausland absolviert. Seine Reisen führten ihn unter anderem nach Russland, Indien, China, Peru, Amerika oder Kuwait. «In diesem Sommer geplante Konzerte in Brasilien und Moskau wurden abgesagt. Derzeit stehen wegen der unsicheren Lage Reisen noch nicht zur Diskussion.» Oftmals stünden bei Auslandauftritten die Erlebnisse und Begegnungen im Vordergrund und nicht unbedingt der Ertrag, so der HSG-Absolvent. Zudem bezeichnet sich Senn als «Heimweh-Ostschweizer» und freut sich auch über kleinere Auftritte in der Region. «Die Grösse des Publikums zählt für mich nicht. Ich nehme auch in Kauf, wenn ich zum Spielen eine Maske tragen muss. Primär bin ich dankbar, dass meine Familie und ich gut und gesund durch die Pandemie gekommen sind und wieder Auftritte vor Publikum möglich sind.»

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