27.07.2020

Weltklasse ohne Vorbereitung

Jolanda Neff gewinnt zum fünften Mal in Folge den Schweizer Meistertitel im Cross Country – dennoch ein spezieller Erfolg.

Von Yves Solenthaler, Gränichen
aktualisiert am 03.11.2022
Yves Solenthaler, GränichenMänner-Nationaltrainer Bruno Diethelm war im Ziel der erste Gratulant von Jolanda Neff. Er verneigte sich vor der 27-jährigen Thalerin, die ihren sechsten Schweizer Elite-Meistertitel im Cross Country gewann. Die Nachwuchskategorien eingerechnet, ist es gar schon Neffs elfter Titel. In der Elite hat sie an Titelkämpfen nur einmal nicht gewonnen: Im Jahr 2015, als sie wegen eines Defekts fünf Minuten in der Tech-Zone stand, wurde Neff Dritte.Goldmedaillen an Schweizer Meisterschaften im Cross Country gehören für Jolanda Neff zur jährlichen Routine, dennoch sagt sie nach ihrer Goldfahrt in Gränichen: «Das ist mein schönster Titel.»Bei Neff hat sich die Routine verschobenDas liegt daran, dass bei Jolanda Neff seit sieben Monaten nichts mehr Routine ist, und das liegt nicht primär am Coronavirus. Ende Dezember ist sie im Training in den USA schwer gestürzt, wegen eines Milzrisses konnte sie fünf Monate fast gar nicht trainieren. Schon vor einer Woche hatte Neff in Leukerbad verblüfft, als sie im ersten Rennen der Saison, das wie ein Weltcup besetzt war, Zweite hinter Sina Frei wurde und Weltmeisterin Pauline Ferrand-Prévot deutlich hinter sich liess.Damals war Jolanda Neff vorsichtig gestartet. In Gränichen hatte sie nun die Gewissheit, das Renntempo durchhalten zu können – zumal das Rennen viel kürzer war als vor einer Woche (Siegerzeit 1:23 Stunden gegenüber 1:39 in Leukerbad). Im ersten Aufstieg überliess sie Nicole Koller das Tempodiktat, aber nach einer halben Runde verabschiedete sich Neff auf Nimmerwiedersehen vom Feld. Im Ziel lag sie 2:29 Minuten vor Sina Frei, die sich im spannenden Duell um Silber gegen Linda Indergand durchsetzte.Im Ziel dachte Jolanda Neff daran, dass unter normalen Umständen in zwei Tagen (also heute Dienstag) das Olympiarennen in Tokio stattgefunden hätte. Es scheint, dass sie trotz der langen Verletzungspause und ohne gezielte Vorbereitung dafür bereit wäre. Das überrascht Jolanda Neff selbst: «Ich habe gedacht, noch meilenweit hinter meinen Werten vom November zurückzuliegen.» Umso erfreuter ist sie, dass die Resultate eine andere Sprache sprechen. Spätestens seit diesem Jahr, in dem Sina Frei, Alessandra Keller und Nicole Koller erstmals in der Elite starteten, sind Vergleiche mit der starken Schweizer Konkurrenz durchaus auch international aussagekräftig.«Vielleicht hat es dem Körper gutgetan, einmal so richtig herunterzufahren», rätselt Jolanda Neff. Seit sie sechsjährig ist, hatte sie nie so eine lange Pause. Jetzt freut sie sich darauf, im August und September voll trainieren zu können und hofft, dass die Weltcups und die WM im Oktober noch stattfinden.«Während des Fahrens merkte ich das nicht»Das erinnert daran, dass nicht nur Jolanda Neff in einer ungewohnten Situation ist. Auch das Rennen in Gränichen fand in spezieller Atmosphäre, nämlich ohne Zuschauer, statt. Zwar standen vereinzelt Leute an der Strecke, aber im Zielbereich waren keine Zuschauer zugelassen. «Während des Fahrens bemerke ich das nicht», sagt Neff. Ob mehrere Tausend oder keine Zuschauer: «Ich höre immer die gleichen Leute, die an allen Rennen dabei sind, die aber immer: Meine Mama, meinen Papa, Nationaltrainer Edi Telser und Männer-Coach Bruno Diethelm.»Letzterer ist der Mann, der sich im Ziel vor Jolanda Neff verneigt hat. «Er ist schon ganz im Japan-Modus», lacht Jolanda Neff, darauf angesprochen. In genau einem Jahr findet in Tokio, sofern es die Pandemie zulässt, das Olympiarennen im Cross Country der Frauen statt.

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