06.06.2018

Welch ein Zirkus

Den Regio-Gottesdienst feiern die Kirchgemeinden im Mittelrheintal in der Zirkusmanege. Armin Bartl versteht sich nicht als Zirkusdirektor, er mag den Weissclown. Manuela Schäfer setzt auf die Gaudi des Augusts.

Von Monika von der Linden
aktualisiert am 03.11.2022
Monika von der LindenSind Sie ein Zirkusfan?Schäfer: Vor ein paar Tagen war ich nach dreissig Jahren das erste Mal wieder in einer Vorstellung. Als Achtjährige sah ich mit Kinderaugen in die Manege. Jetzt war ich verblüfft, wie vergnüglich es war. Ich war in einer anderen Welt. Es roch nach Sägemehl, Tieren und Artistenschweiss. Mir fiel auf, wie unbeschwert der Clown das Publikum einbezog. Er war nicht plump, er war herzlich und mit Stil.Es gibt den dummen August und den Weissclown. Wen mögen Sie lieber?Bartl: Den Weissclown. Er ist wie ein Satiriker, scharfsinnig und tief gehend regt er zum Nachdenken und Reflektieren an. Er passt gut in die Kirche. Beide überbringen eine Botschaft. Schäfer: Der August bringt die Gaudi und bereitet Freude. Das darf und muss auch sein.Was sollten Sie reflektieren?Schäfer: Die Reformation. Ich empfinde sie als positiv. Es gab zwar auch Auswüchse, aber wir stehen zu unseren Wurzeln.Warum feiern Sie in einem Zirkus?Bartl: Ein Zelt ist ein Sehnsuchtsort, der die Welt im Kleinen darstellt. In einem Zirkus treten Artisten und Künstler auf, sie verbinden Menschen aller Generationen – wie die Kirche. Schäfer: Ein Zelt wird auf- und abgebaut, dann zieht der Zirkus weiter. Die Kirche als Einrichtung darf nicht festgemauert sein. Sie soll flexibel sein und allen Zuflucht bieten. Auch jenen, die sie nur kurz beanspruchen möchten, bei einer Bestattung, Taufe, Konfirmation oder Hochzeit.Dafür gibt es doch fast in jedem Dorf ein Gotteshaus?Schäfer: Wir wollen den Menschen zeigen, dass der Glaube nicht langweilig und verstaubt ist, sondern das bunte Leben aufnimmt. Deshalb gehen wir an ungewöhnliche Orte. Bartl: Das ist typisch reformatorisch.Welch ein Zirkus: Die Redensart benutzt man bei einem Durcheinander. Betreiben Sie nicht bloss einen Riesenzirkus?Bartl: Wir möchten die Menschen mit Freude in den Alltag entlassen. Nach dem Zirkus und nach jedem Gottesdienst. Schäfer: Diese Sicht auf den Zirkus ist ein Vorurteil. Was leicht aussieht, ist in Wahrheit hoch koordiniert. Artistengruppen aus aller Welt werden in ein Programm, in einen Zirkus eingegliedert. Der Clown produziert das Durcheinander. Aber auch das unterliegt einem Plan, nämlich die Menschen aufzuheitern. Bartl: Den Mut, den ein Artist in der Manege aufbringt, benötigen wir auch. Ebenso Vertrauen und Risikobereitschaft.Wozu?Schäfer: Mut brauchen wir, um zu gesellschaftlichen Entwicklungen Stellung zu beziehen. Manchmal werden wir belächelt, ein anderes Mal scharf kritisiert. Wir setzen uns stetig dem Risiko aus, Mitglieder zu verlieren. Zeigen wir, dass wir für Neues offen sind, vergraulen wir mitunter traditionell denkende Menschen, wenn sie nicht bereit sind mitzumachen.Als Pfarrerin sind Sie also eine Akrobatin, die das scheinbar Unmögliche ermöglichen muss?Schäfer: Wir im Pfarrteam sollten uns in die Menschen einfühlen. Gestützt auf unsere Ausbildung und Erfahrung setzen wir Impulse. Die Kirchgemeinde ist wie ein Artistenteam. Sie bestimmt das Programm. Was wir machen, soll gut sein. Bartl: Wie ein Unternehmen muss die Vorsteherschaft überlegen, was die Kundschaft will. Wir müssen Marketing betreiben und überlegen, wie wir die Kirchbürger verstehen und in der Gemeinschaft halten können. Wer das Gras wachsen hört, wird belohnt und kann später das Heu ernten.Der Kirchenpräsident spielt demnach die Rolle des Zirkusdirektors?Bartl: Ich sehe mich als Mentor, der Ideen in die Kirchenvorsteherschaft einbringt. Gleichberechtigt legen wir miteinander die Richtlinien fest. Schäfer: Armin Bartl ist unsere Leitfigur. Er gibt der Kirchgemeinde ein Gesicht. Wir Pfarrpersonen bilden mit den gewählten Kivomitgliedern ein Tandem. Wir müssen uns für die Finanzen interessieren, wie die anderen für die Theologie.Lassen Sie sich zum Gottesdienst von der Pfarrerin zum Weissclown schminken?Bartl: Nein, als Clown komme ich nicht in die Manege. Aber in Zusammenhang mit der Reformation habe ich mir schon etwas Besonderes einfallen lassen.Das wäre?Bartl: Das ist eine Überraschung.Einen Regio-Gottesdienst feiern die Evangelischen Kirchgemeinden im Mittelrheintal seit vielen Jahren jeweils im Frühsommer. Im Jahr des Reformationsjubiläums betreiben sie unter der Federführung der Kirchbürger aus Bern-eck-Au-Heerbrugg einen besonderen Aufwand und organisieren einen Zirkusgottesdienst unter dem Leitgedanken «Mut in der Manege». Dies ist möglich, weil die Kantonalkirche Anlässe der Kirchgemeinden auch finanziell unterstützt.Vor eineinhalb Jahren brachte Charles Martignoni aus Au die Idee ein, das Rheintaler Gesangsfest, den Regio-Gottesdienst und die Tournee des Zirkus’ Stey in Kooperation zu organisieren. Alle Beteiligten belegen das Zirkuszelt, führen Menschen zusammen und nutzen die Manege zur Begegnung, zu Momenten des Staunens, der Freude, des Frohsinns oder der Andacht. Zum Regio-Gottesdienst am Sonntag, 17. Juni, um 10.30 Uhr, laden die Organisatoren alle ins Zirkuszelt auf der Wiese neben der Kantonsschule ein, ganz gleich, welcher Religion oder Konfession man angehört. Gestaltet wird er vom Pfarrteam Mittelrheintal, dem Kinderchor Rägeboge, der Zirkuskapelle, der Popmusikerin Sina Knaus und den Artisten. Um 11.30 Uhr offerieren die Kirchgemeinden Verpflegung und alkoholfreie Getränke. Gleichzeitig gibt es Spiel und Spass mit Ponyreiten, Jonglieren, Geschichten, Hüpfburg und Ballonwettbewerb. Der Zirkusdirektor zeigt, wie es hinter den Kulissen aussieht, bis der Zirkustruppe um 13.30 Uhr wieder die Manege gehört. Sie spielt ihr Programm – wieder für alle. (vdl)www.refmittelrheintal.ch

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