22.05.2018

Webseiten sind nicht barrierefrei

Gemäss Behindertengleichstellungsgesetz müssen Online-Angebote von Bund, Kanton und Gemeinde barrierefrei sein. Die Webseiten der Rheintaler Gemeinden erfüllen diese Anforderungen bei Weitem nicht.

Von Benjamin Schmid
aktualisiert am 03.11.2022
Benjamin SchmidFrüher wurden behinderte Personen diskriminiert und an den Rand der Gesellschaft gedrängt, heute stehen ihnen immer mehr Möglichkeiten offen: So können Blinde beispielsweise dank Internet Tageskarten der SBB lösen, Einkäufe über Onlinebanking abwickeln und an Universitäten studieren. Was die wenigsten wissen: Ein Grossteil der Internetseiten ist nach wie vor nicht barrierefrei. Auch die Webseiten der Rheintaler Gemeinden.Nach einer Analyse der Seiten durch die Stiftung «Zugang für alle» tritt ein schlechtes Resultat zutage. «Insgesamt sind die Ergebnisse durchgängig schlecht», sagt Andreas Uebelbacher, Leiter Bereich Dienstleistungen bei «Zugang für alle», und ergänzt: «Durchschnittlich wird nur eine Punktzahl von 1.2 von möglichen fünf Punkten bei der Prüfung von fünf ausgewählten Basiskriterien der WCAG 2.0 erreicht.» Die WCAG 2.0 sind die Richtlinien für barrierefreie Webinhalte, die gemäss UNO-Behindertenrechtskonvention (BRK) für Gemeinden verbindlich sind, um Menschen mit Behinderungen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.Keine Webseite überzeugtNoch am besten schneidet bei der Überprüfung die Webseite der Gemeinde Balgach ab, mit drei von fünf möglichen Punkten. Die wenigen Grafiken haben korrekte Textalternativen und die Kontraste sind ausreichend. «Diese Gemeinde scheint das Ergebnis eher zufällig zu erreichen, denn der Tastaturfokus ist dort alles andere als gut sichtbar umgesetzt», sagt Uebelbacher. Damit ist Balgach die einzige Gemeinde im Rheintal, die mehr als die Hälfte der Punkte erreichte. «Grundsätzlich freut uns das Resultat», sagt Silvia Troxler, Gemeindepräsidentin von Balgach und ergänzt: «Wir sind uns aber auch bewusst, dass noch nicht alles optimal umgesetzt wurde.» Es seien Bestrebungen im Gange, die nicht auf einzelne Beeinträchtigungen zielen, sondern die Situation aller Menschen mit Beeinträchtigungen verbessern, sagt die Gemeindepräsidentin. Das Thema sei immer wieder Teil der politischen Agenda der Gemeinde, sei es bei baulichen Massnahmen oder gesellschaftlichen Anlässen.Bei den restlichen 13 untersuchten Gemeindewebseiten waren die Resultate schlechter. Der Internetauftritt von Altstätten, Au, Berneck, Rebstein, Rüthi und Widnau wurde mit zwei von fünf Punkten bewertet. Gemäss Marcel Fürer, Gemeinderatsschreiber von Au, existiert die heutige Webseite der Gemeinde seit 2008. «Im Rahmen der anstehenden Überarbeitung wird der Behindertengerechtigkeit die nötige Beachtung geschenkt.» Der zukünftige Auer Webauftritt wird zusammen mit der Anbieterin i-web AG möglichst barrierefrei gestaltet. i-web stehe mit der Stiftung «Zugang für alle» in Kontakt.Die Webseite der Gemeinde Thal erfüllt nur ein Kriterium von den fünf geprüften: Die Farbkontraste sind ausreichend. Laut Marco Forrer, Gemeinderatsschreiber-Stellvertreter von Thal, ist die Webagentur daran, die Webseiten ihrer Kunden den Kriterien entsprechend zu überarbeiten. Gleichzeitig verweist er darauf, dass sie von Seiten der Webagentur darauf hingewiesen wurden, dass nicht immer ganz transparent sei, wie die Stiftung zu ihren Ergebnissen gelangt und wie sie verschiedene Aspekte der Barrierefreiheit gegeneinander abwäge. «Die Online-Formulare auf unserer Webseite sind gemäss offiziellem Analysetool WAVE des World-Wide-Web-Consortiums perfekt barrierefrei zugänglich», sagt Forrer. Dem widerspricht Uebelbacher: «WAVE ist ein automatisches Prüfwerkzeug, das grundsätzlich gut ist, um mögliche Probleme zu finden. Aber viele praktisch wichtige Probleme kann ein solches Werkzeug nicht entdecken, da es zu wenig intelligent ist.» Gerade hier liege die Krux. Die Webseiten seien objektiv, aber nur mit einem gewissen Mass an Expertenwissen prüfbar. Ganz im Gegensatz zum Treppeneingang vor dem öffentlichen Gebäude, wo jeder gleich erkennen kann, dass das unzugänglich ist für betroffene Personen. Gemäss Forrer können beispielsweise blinde Menschen über ein Benutzerkonto völlig selbstständig Veranstaltungen im Gemeindekalender eintragen: «Das ist für die Beteiligung am Gemeindeleben durchaus wichtig», sagt Forrer und ergänzt: «Es könnte der Eindruck entstehen, dass beim Test bewusst nach Fehlern gesucht wurde.»Anforderungen schon seit einem Jahrzehnt bekannt«Selbstverständlich suchen wir nach Fehlern», sagt Uebelbacher und fügt an: «Aber es geht um Fehler, die praktisch relevant sind für Menschen mit Beeinträchtigungen und diese von der Nutzung eines Online-Angebots ausschliessen können. Wir sprechen hier über Anforderungen, die in Form der WCAG seit 2008, also bereits ganze zehn Jahre, öffentlich bekannt sind.»Während Marbach und Thal einen Punkt ergattern konnten, fallen die Webseiten der Gemeinden Diepoldsau, Eichberg, Oberriet, Rheineck und St. Margrethen komplett durch beim Test. Betreffend Barrierefreiheit sind diese Gemeinden schlecht aufgestellt. «Unsere Webseite wurde soeben leicht optimiert», sagt Gabriel Macedo, Stadtschreiber von Rheineck, und ergänzt: «Weitere Schritte könnten mit dem nächsten technischen Update im Verlauf dieses Jahres geschehen.» Die Webagentur i-web AG ist wie in Au daran, den Webauftritt zu verbessern und barrierefrei zu gestalten.Beim Test der Stiftung «Zugang für alle» wurden die Webseiten anhand von fünf ausgewählten Kriterien von Menschen mit Beeinträchtigungen untersucht: Ist die Überschriftenstruktur korrekt? Weisen grafische Elemente eine korrekte Textalternative auf? Sind Formulare zugänglich? Sind die Farbkontraste ausreichend für gute Wahrnehmbarkeit der Inhalte? Ist die Webseite gut mit der Tastatur bedienbar? Ebenfalls wurden die für Gehörlose wichtige Untertitelung von Videos geprüft, aber die wenigsten der Seiten weisen Videos auf.Formulare sind absolut unzugänglichGrundsätzlich kann jede Webseite barrierefrei eingerichtet werden – sogar soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter oder Kurznachrichtendienste wie Whats-app. Gemäss Test sind die Überschriften durchgängig fehlerhaft umgesetzt. Nutzerinnen und Nutzer, die auf Vorlese-Programme angewiesen sind, können sich in diesen Inhalten kaum zurechtfinden und sie nicht effizient nutzen. «Komplett unzugänglich sind die angebotenen Formulare», sagt Uebelbacher. Es fänden sich überall unzugängliche grafische Captchas. Diese Bilder, die meist verzerrte Buchstaben oder Zahlen zeigen, werden dafür verwendet, zu prüfen, ob ein Mensch oder eine Maschine ein Internetformular ausfüllt. Hier komme das Vorleseprogramm an seine Grenzen und verunmögliche das Absenden der Formulare.Bei rund Zweidrittel der untersuchten Webseiten finden sich unzureichende Kontraste, welche die Wahrnehmung von Inhalten für Menschen mit Sehbehinderungen erschweren oder verunmöglichen. Ebenso fehlt bei zehn von vierzehn Gemeindewebseiten ein durchgängig deutlich sichtbarer Tastaturfokus, wodurch für Nutzerinnen und Nutzer mit motorischen Einschränkungen, welche die Webseite mit Tastatur nutzen, die Bedienung der Seite erschwert wird. 

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