07.05.2021

Was war in Balgach los?

Die beiden Kirchgemeinden feiern, seit 500 Jahren von Marbach unabhängig zu sein. Mit einem Kartenspiel.

Von Monika von der Linden
aktualisiert am 03.11.2022
Monika von der Linden«Die Balgacher Bauern erhalten vom Bund erstmals die Auflage, Kartoffeln anbauen zu müssen.»Das ist ein Fakt aus der Dorfgeschichte. Doch wo ist er auf der Zeitleiste einzuordnen?Die Antwort steht verborgen auf der Rückseite der Spielkarte: «1917 – Es herrscht wegen des 1. Weltkriegs Lebensmittelknappheit.» Ohne zu spicken, versucht Liliane Jakob, die Karte in die auf dem Tisch liegenden korrekt einzureihen.Pfarrer Jens Mayer hat gegenüber den Pfarrsekretärinnen Liliane Jakob und Yisel Del Rosario einen Vorteil. Er beschäftigt sich intensiv mit der Dorfgeschichte bis ins Jahr 1100 v. Chr. zurück. Er hat Chroniken sowie Archive gewälzt und so 280 Fragen und Antworten des Kartenspiels «Balgacher Anno Domini» zusammengetragen. Das Geschichtsspiel liegt nun als Prototyp vor. Es erscheint am 4. Juli mit einer 300er-Auflage. Zum Auftakt des ökumenischen Jubiläumsjahres «500 Jahre unabhängige Kirchgemeinde Balgach» wird es vorgestellt.500 Jahre mit-, gegen- und nebeneinander Bis 1521 gehörten die Balgacher Katholiken zur Pfarrei Marbach. Dann besiegelten Abt Franz von St. Gallen und die Gemeinde Balgach die Unabhängigkeit. Die Kapelle an der Steigstrasse weihten sie zur Kirche. Heute steht dort die evangelische Kirche.Sieben Jahre später, 1528, hielt im Rheintal die Reformation Einzug. Zu ihr bekannten sich auch Balgacher. Fortan raufte man sich im Dorf zusammen, grenzte sich ab und nutzte bis 1825 dasselbe Gotteshaus. Von einstiger Parität zeugt noch heute der katholische Chorhimmel der evangelischen Kirche. Ihn zieren das Abbild der Gottesmutter Maria und vier Kirchenväter. «Es gab immer Reibereien», sagt Jens Mayer. «Der Bildersturm 1528 war die einzige gewalttätige Ausnahme.»Die Reformierten waren seinerzeit wirtschaftlich bessergestellt und belegten mehr offizielle Posten. Bei allem Streben nach Einigkeit entwickelte ein Streit sich zum berühmten Tropfen, der ein Fass zum Überlaufen bringt. Die Katholiken wollten eine Orgel in die paritätische Kirche einbauen. «Das gibt’s nicht, entschieden die Reformierten», sagt Jens Mayer. Damit die Katholiken ihre eigene Kirche bauen konnten, kauften die Reformierten ihnen ihre Rechte am Gebäude ab – das Geld bildete das Grundkapital des Neubaus an der Bergstrasse. Die Ortsgemeinde steuerte Holz aus dem Forst bei. Er heisst heute noch Kirchwald. 1826 feierten die Katholiken die Einweihung ihrer eigenen Kirche.Es folgten viele Jahre, in denen die beiden Kirchen nebeneinander her lebten. Bis in die 1970er-Jahre unterhielten die Balgacher zwei Schulgemeinden. Heute zeugen etliche ökumenische Projekte vom erstarkten Miteinander. Dazu trug neben Jens Mayer auch Carsten Wolfers bei. Er war bis letztes Jahr katholischer Diakon in Balgach. Die Seelsorger wollten das Jubiläum der Unabhängigkeit ebenso ökumenisch feiern wie sie es schon 2017 mit dem Reformationsjubiläum taten.«Wir sind beide grosse Fans des Geschichtsspiels ‹Anno Domini›», sagt Jens Mayer. «Wir möchten feiern und Zeichen setzen.» Eines ist die lokale Ver-sion des Kartenspiels von Urs Hostettler, erschienen bei der Fata Morgana Genossenschaft, Bern. «Wir dürfen das Origi-nal nachahmen, unsere Ausgabe muss sich aber deutlich von ihm unterscheiden.» Damit sich keine groben Fehler einschleichen, las Dorfchronist Ernst Nüesch die Karten Korrektur. «Er steuerte auch einige Begebenheiten bei», sagt Jens Mayer.In manch einem Büchergestell wird sich zum Kartenspiel die neue Festschrift gesellen. Sie umfasst vierzig Seiten und hält in pointierten Anekdoten fest, wie die Balgacher das Miteinander, Nebeneinander und Gegeneinander gestalteten. «Das Augenmerk liegt klar auf dem Miteinander», sagt Jens Mayer.In vielen katholischen wie evangelischen Kirchen steht ein Taufbaum. Er ist Symbol für Wachstum, Verwurzelung, Stärke und Schutz. Es gibt nur eine Taufe – egal ob die der Katholiken oder die der Reformierten. Das heisst, jede Konfession anerkennt die Taufe der jeweils anderen als Sakrament.Geteilter Baum als verbindendes ZeichenEin in zwei Hälften geteilter Taufbaum soll dieses Streben nach Einheit ausdrücken. Markus Buschor, Bildhauer aus Altstätten, fertigt derzeit dieses Kunstwerk. Dazu hat er einen Eichenstamm der Länge nach in Scheiben geschnitten. Je eine Scheibe bildet einen Taufbaumstamm. In diese setzt er Äste ein. In der evangelischen Kirche weisen sie nach rechts, in der katholischen nach links.Offensichtlich fehlt jedem Baum etwas. Betrachtet man beide Stämme gemeinsam, bilden sie eine Einheit. Die Individualität findet dennoch Ausdruck. Den Taufbaum an der Steigstrasse belässt Markus Buschor natürlich, den an der Bergstrasse poliert er. Zum Auftakt des Jubiläumsjahres am Sonntag, 4. Juli, werden die beiden halben Taufbäume enthüllt.

Abo Aktion schliessen
News aus der Region?

Alle Geschichten, alle Bilder

... für nur 12 Franken im Monat oder 132 Franken im Jahr.