Dann kehrte eine – sehr kurze – Zeit lang das Gefühl von Ferien ein, und danach gab es auch viel Frust. Frust darüber, was alles abgesagt werden musste, darüber, was alles verschoben werden muss, und was noch lange nicht feststeht: Auf wann eigentlich?Frust darüber, dass ich ganz ohne andere Menschen meinen Tagesablauf sinnvoll gestalten musste.Andere Leute hatten anderen Frust: Die Kinder zum Homeschooling zu bewegen, ihr Geschäft schliessen zu müssen, oder wesentlich mehr Arbeit zu haben als sonst, so etwa die Leute im Spital oder die «Pöschtler». Andere mussten bei schönstem Wetter als Familie in der Wohnung ausharren. Und wieder andere, die zu einer der Risikogruppen gehören, waren teilweise in grosser Angst um ihr Leben.Allen gemeinsam ist der Frust wegen nicht planbarer Sommermonate und einer ständigen unbestimmten Unruhe, die so eine unstrukturierte Zeit mit sich bringt.Nicht mit Arbeit oder Freizeit verplante Zeit fühlt sich nicht gut an. Wir werden in dieser Zeit, mit dem was wir an Fähigkeiten vorzuweisen haben, nicht gebraucht. In unserer heutigen Gesellschaft nicht gebraucht werden, bedeutet automatisch, nichts wert zu sein. Vielleicht lohnt es sich für jeden und jede von uns, darüber nach der Krise einmal nachzudenken. Woher beziehen wir eigentlich unseren Selbstwert? Aus dem, was wir arbeiten und besitzen? Oder können wir das auch alles loslassen und trotzdem mit uns zufrieden sein?Ich finde, das ist eine wichtige Frage, denn ich denke, sie bestimmt unser Lebensgefühl massgeblich mit. Jesus hatte einen Jünger, Nathanael. Er wird im Johannesevangelium als einer der ersten berufen, und man vermutet, dass er sogar Jesu Lieblingsjünger war. Von diesem Nathanael ist uns fast nichts überliefert. Wir wissen eigentlich nur, dass er sehr gut unter einem Feigenbaum liegen konnte. Und dass jemand, der einfach unter einem Feigenbaum liegt, und sonst wohl nicht viel Besonderes an sich gehabt hat, zum Lieblingsjünger unseres Messias aufsteigen konnte, ist doch ein sehr schönes Symbol für das, was die Liebe Gottes auch ohne Gegenleistung an einem Menschen ausrichten kann.Vielleicht sollten wir uns beim Urteil über uns selbst und andere daran öfter ein Beispiel nehmen.Andrea HofackerPfarrerin in Marbach