19.11.2018

Warum Lehrstellen offen bleiben

Lehrstellen gibt es grundsätzlich genug. Aber nicht immer Bewerber, die sich dafür eignen. Dadurch halten sich Lehrbetriebe zurück – und der Trend der unbesetzten Lehrstellen hält weiter an.

Von Hildegard Bickel
aktualisiert am 03.11.2022
Lieber lassen Betriebe die Lehrstelle offen, als eine Fehlbesetzung zu riskieren. Diesen Fall erlebte im Sommer die Firma Jansen. «Die Lehrstelle für den Beruf des Kunststofftechnologen konnten wir nicht vergeben», sagt Mathias Eggenberger, Verantwortlicher Berufsbildung. «In den Vorjahren gab es keine Pro­bleme, Lernende zu finden. Doch 2018 hatten wir eher wenig Bewerbungen.»Fünf Jugendliche schnupperten im Beruf, schliesslich ging nur eine Bewerbung ein. «Weil es nicht passte, mussten wir absagen.»Das Matching funktioniert nichtDas Problem kennt Ronny Pe­- ter, Stellenleiter der Berufs- und Laufbahnberatung Rheintal. «Das Matching, also das, was Jugendliche wollen und an Qualitäten mitbringen, stimmt in solchen Fällen nicht mit den An­forderungen des Lehrbetriebs überein», sagt er. «Das beginnt bereits beim Schnuppern, wo ich schon von Lehrbetrieben hörte, dass sie niemanden finden.»Ein Lehrverhältnis als Not­lösung einzugehen, nütze nichts. Angebot und Nachfrage lassen sich nun mal nicht immer zusammenbringen. Zu viel nachgeben könne ein Lehrbetrieb ebenfalls nicht, nur um den Jugendlichen eine Chance zu bieten, sonst scheitert das Lehrverhältnis.Der Trend der letzten Jahre zeigt deutlich, dass nicht alle offenen Lehrstellen besetzt werden. Genaue Zahlen kann Ronny Peter keine nennen. Es fehlen schlicht verlässliche Quellen. Zwar gibt es den Online-Lehrstellennachweis «Lena» mit einer schweizweiten Übersicht von offenen Lehrstellen. Doch es ist für Lehrbetriebe keine Pflicht, sich dort zu melden. «Darum wissen wir nicht konkret, wie viele Lehrstellen auf anderen Wegen vergeben werden und ob das Angebot verlässlich aktualisiert wird.»Weniger Jugendliche als vor zehn JahrenNebst dem Matching, das zu unbesetzten Lehrstellen führt, spielt auch die Geburtenrate eine massgebende Rolle. Derzeit befinden sich geburtenschwache Jahrgänge in der Berufswahl.«Wir haben 27 Prozent weniger Jugendliche als noch vor zehn Jahren», sagt Ronny Peter. Diese Abwärtskurve dürfte sich in den kommenden Jahren erholen, da die Entwicklung der Schülerzahlen im Kanton St. Gallen wieder ansteigt. Vorläufig scheint es so, dass die Ausgangslage auf der Seite der Jugendlichen ist, wenn auf dem Lehrstellenmarkt genug Angebote verfügbar sind. Wobei für beliebte Berufe wie eine kaufmännische Lehre oder die des Polymechanikers nach wie vor teilweise zahlreiche Bewerbungen eingehen.Diese Erfahrung macht auch Andreas Bräker, Berufsbildner bei PSA- Parts & Systems AG in Au. Er erhielt ein Dutzend Bewerbungen für die Polymechaniker-Lehre und könnte somit unter den Kandidaten auswählen. Doch bereits vor der Schnupperlehre musste er einzelnen Jugendlichen absagen. Grund waren die Schulnoten, die nicht genügten. «Zum Teil überschätzen sich die Jugendlichen», sagt er. Deshalb führt Andreas Bräker einen Eignungstest durch, bevor er die Lehrstelle vergibt. Im August begannen zwei angehende Polymechaniker ihre Ausbildung. Eine dritte Lehrstelle, die ebenfalls möglich gewesen wäre zum Besetzen, blieb offen.Alternative Lösungen anbietenWie bei der PSA-Parts & Systems AG wurde auch bei Jansen die Lücke der freigebliebenen Lehrstelle nicht gefüllt. «Obwohl die Arbeitskraft eines Lehrlings spürbar fehlt», sagt Mathias Eggenberger. Es gäbe noch die Möglichkeit einer zweijährigen Lehre mit dem Eidgenössischen Berufsattest EBA.«Darüber sprechen wir, während die Jugendlichen schnuppern. Wenn sich zeigt, dass die schulischen Leistungen nicht genügen, dafür praktische Qualitäten stimmen.» Oft würden es jedoch die Eltern nicht gern sehen, wenn der Sohn oder die Tochter kein Angebot für einen EFZ-Abschluss in Aussicht hat.«Es gibt Jugendliche, die brauchen einfach mehr Zeit», sagt Ronny Peter. Weil es ihnen nicht gelingt, eine geeignete Lehrstelle zu finden oder weil sie einfach noch nicht bereit sind für die Berufswahl. Die Oberstufenzeit sei intensiv, die Jugendlichen hätten viel zu bewältigen mit Schule, Berufswahl und persönlicher Entwicklung, sagt er. «Darum ist es keine Schande, wenn jemand ein Brückenangebot oder eine Zwischenlösung annimmt.»Letztlich gilt es, den Berufswunsch mit genug Zeit reifen zu lassen und dann bewusst und sicher zu entscheiden. Derzeit läuft die Bewerbungsphase für den Lehrstart im Sommer 2019.

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