16.04.2021

Warum es in Widnau keine Tempo-30-Zonen gibt

Unfälle verhüten und die schwächsten Verkehrsteilnehmer schützen: Tempo-30-Zonen sind im Vormarsch. Widnau geht einen anderen Weg.

Von Andrea C. Plüss
aktualisiert am 03.11.2022
«Die Gemeinde Widnau hat keine Tempo-30-Zonen. Vielmehr wird mit punktuellen, massgeschneiderten Massnahmen eine Verlangsamung des Verkehrs angestrebt.» So lautete die Antwort des Bauamtsleiters Eric Pasche auf die Frage, ob es möglich sei, im Bereich der Schulhäuser Wyden, Schlatt und Rüti eine Tempo-30-Zone einzurichten.  Als einer von mehreren Experten der Verwaltung stand Eric Pasche während des zweiten Expertenchats vom 24. März, den die politische Gemeinde  in Ermangelung einer Bürgerversammlung angeboten hat, Rede und Antwort. Widnau setzt – anders als eine wachsende Zahl Rheintaler Gemeinden – auf individuelle Massnahmen, statt auf die Einrichtung von Tempo-30-Zonen, wenn es darum geht, Auto-, Töff- und E-Bikefahrer dazu zu bewegen, langsamer zu fahren. Einen entsprechenden Grundsatzentscheid fällte der Gemeinderat nach Prüfung verschiedener Möglichkeiten und in Abwägung der Vor- und Nachteile bereits vor Jahren.Widnauer Elemente haben sich bewährtAls Beispiel sei hier die  Strassenraumgestaltung im Bereich der Schulhäuser Wyden, Schlatt und Rüti genannt, auf die sich der Chatteilnehmer bei seiner Frage bezog: Die Zufahrt von der Fuchsgasse aus wurde verengt, ein Fussgängerüberweg installiert und die Pflasterung in Rot über das Trottoir geführt. Entlang der Rütistrasse, an der sich die Kindertagesstätte der SDM, die Bibliothek sowie das Jugendzentrum Stoffel befinden, verengen mehrere Elemente die Fahrspur. Die umgesetzten Massnahmen hätten zu einer «deutlichen Verlangsamung» des motorisierten Verkehrs beigetragen, so der Bauamtsleiter. Die Achse von der Fuchsgasse aus über die Büchelstrasse oder die Rütistrasse sei «für den (motorisierten) Durchgangsverkehr sehr unattraktiv gestaltet», stellt Eric Pasche fest. Verkehrsberuhigende Massnahmen mittels Elementen auf der Büchelstrasse bis Einmündung Poststrasse seien in Planung. [caption_left: In der Verkehrsstrategie der Gemeinde Widnau kommen Tempo-30-Zonen nicht vor. Sie setzt auf individuelle Massnahmen zur Geschwindigkeitsreduktion. (Bild: acp)]Seitlich im Wechsel installierte Elemente – häufig sind es Bäume in einem eingefassten Beet – finden sich unter anderem am Kapellweg, auf der Zinggenstrasse, der Held- oder der Schützenstrasse. Auch dort werde langsamer als die erlaubten 50 km/h gefahren, versichert Pasche und bezieht sich dabei auf die Ergebnisse der Verkehrsmessungen, die die Gemeinde «laufend und systematisch» durchführe. Ein anderes Beispiel: Mit den «Schachbrettschwellen» in der Nöllenstrasse beispielsweise habe sich die Geschwindigkeit um 5 km/h reduzieren lassen. 85% der Fahrzeuge fahren dort 44 km/h statt vorher 49 km/h, so Pasche.Innerorts «schwache» Verkehrsteilnehmer schützenEin Blick in die kantonale Verkehrsunfallstatistik 2020 offenbart: Die mit Abstand meisten Unfälle ereignen sich innerorts bei geltender Geschwindigkeit von 50 km/h. Dort treffen Autofahrer, E-Bike- und Motorradfahrer sowie Fussgänger und Velofahrer auf engstem Raum aufeinander. Will man vor allem Fussgänger und Velofahrer, also «schwache» Verkehrsteilnehmer vor Unfällen schützen und mögliche Unfallauswirkungen minimieren, ist eine Temporeduktion geboten. Tempo-30-Zonen hätten sich hierbei als wirksam erwiesen, ist der Verkehrsunfallstatistik zu entnehmen. Aufgrund der tieferen Geschwindigkeit sei der Anhalteweg für Fahrzeuge kürzer, die Unfallauswirkungen deshalb geringer, fasst Werner Lendenmann, Leiter Verkehrstechnik bei der Kantonspolizei, zusammen. Vorausgesetzt, die Autofahrer halten sich an Tempo 30. Regelmässige Kontrollen sieht die Polizei nicht vor. Angaben zur Unfallhäufigkeit bei Strassen mit Verkehrsberuhigungselementen lassen sich nicht machen. Je nachdem, zu welcher Uhrzeit man als Autofahrer in Widnau über die Rütistrasse fährt, dürfte bei normalem Fahrverhalten der Tacho zwischen 25 und 40 km/h anzeigen.  Bestehendes hinterfragen und überprüfenEinmal, vor einigen Jahren, habe man aufgrund eines Votums aus der Bevölkerung beim Rüti-Schulhaus eine Verkehrsmessung durchgeführt. Aufgrund der geringen Frequenz sowie der gemessenen niedrigen Geschwindigkeiten habe sich seinerzeit kein Handlungsbedarf für weitere Massnahmen ableiten lassen, sagt Eric Pasche.  Seit letztem Sommer verfügt die Politische Gemeinde Widnau über ein Wiki zur Ortsplanung. Informationen und Daten sind online zugänglich. Eine Chatfunktion erlaubt zudem, mit der Gemeinde zu kommunizieren und Fragen zu stellen. Im Chat «Verkehrsberuhigung» berichten Einwohner von ihren Erfahrungen im Strassenverkehr, sei es als Fussgänger, Auto- oder Velofahrer. Die Antworten vonseiten der Gemeinde verdeutlichen: Nicht alle Massnahmen, die vor Jahren geplant und umgesetzt wurden, vermögen heute uneingeschränkt zu überzeugen. So sei bei der Neugestaltung der Bahnhofstrasse die Fahrspurbreite für Velofahrer nicht optimal ausgefallen. Beim geplanten Anschlussprojekt auf dem Abschnitt Post-/Diepoldsauerstrasse «werden wir darauf achten, dass der Velofahrer mehr Platz erhält», schreibt die Gemeinde einem Chatteilnehmer. Zu einem späteren Zeitpunkt wolle man demnach auch die Wirksamkeit der Elemente auf der Rheinstrasse im Hinblick auf die Verkehrsberuhigung prüfen, ist im Chat zu lesen. Nebst den Elementen setzt die Gemeinde unter anderem auf Fusswegverbindungen, die vor allem Schulkindern bereits heute sichere Korridore abseits der Strasse bieten. Ziel sei es, ein «engmaschiges Netz» solcher Verbindungswege durch die Quartiere zu schaffen, so der Bauamtsleiter. Bei der geplanten Umgestaltung der Neugasse mit verkehrsberuhigenden Elementen ist deshalb dort, wo ein Fussweg in die Neugasse mündet, ein sicherer Übergang vorgesehen.«Jeder hat eine andere  Brille auf»Ob Fahrspurverengung, Schwellen oder Elemente: Damals wie heute gilt es, einen tragbaren Kompromiss zu finden. Die Bedürfnisse der unterschiedlichen Verkehrsteilnehmer unterscheiden sich naturgemäss stark. Eric Pasche weiss: «Jeder hat eine andere Brille auf.» Wichtig sei stets der Dialog.  In manchen Fällen sind einzelne Gestaltungsmassnahmen für den Strassenraum auch deshalb nicht umzusetzen, weil Privateigentümer nicht bereit sind, der Gemeinde etwas Boden abzutreten. 

Abo Aktion schliessen
News aus der Region?

Alle Geschichten, alle Bilder

... für nur 12 Franken im Monat oder 132 Franken im Jahr.