Christlich 10.11.2024

Warum der November zum Gedenken und Nachdenken aufruft

Der 9. November erinnert an historische Gewalt und Verbrechen, von der Reichspogromnacht 1938 bis zu Ausschreitungen in Genf 1932. Ein Tag, um an diese Taten zu gedenken, könnte ein Zeichen der Reue und Menschlichkeit setzen.

Von Rudy van Kerckhove, Stv. Pfarrer in Buchs
aktualisiert am 10.11.2024

Ein altes Wort sagt: «Gedenken ist Leben, Vergessen ist Tod.»

Der Monat November ist mit Totengedenken verbunden. Was verspreche ich mir vom Gedenken? Vielleicht die Hoffnung, dass ich sein kann, wie der oder die, dem oder der ich gedenke. Oder auch anders sein kann, anders handle, nicht die gleichen Fehler, wie die vergangene Generation mache.

Gerade der 9. November ist so ein Tag. An der Wand in der Kirche in Buchs stehen die drei Reformatoren, Zwingli, Luther und Calvin. Luther wurde in November geboren und Martin getauft, weil er am Martinstag getauft wurde. Ich verbinde Luther mit dem 9. November 1938. An dem Tag fand in Deutschland die Reichspogromnacht statt. Pogrom ist russischer Herkunft und meint «Verwüstung, Zertrümmerung».

Mehrere hundert Juden wurden ermordet, es gab mindestens 300 Selbsttötungen, 1400 Synagogen und jüdische Einrichtungen wurden gestürmt, zerstört. Es folgten Deportationen in Konzentrationslager – schätzungsweise 30`000 – und viele Menschen kamen durch die Haftbedingungen ums Leben oder wurden hingerichtet.

Die Christenheit trägt eine Mitschuld

Wer da noch – wie es ab und zu bei heutigen Politikerinnen und Politikern zu hören ist – die Naziverbrechen beschönigen möchte, weiss wohl nicht, was Menschlichkeit und Nächstenliebe heisst. Luther und die gesamte Christenheit (vor und nach ihm) tragen Mitschuld. In seinen Schriften hatte er, wie viele vor ihm, zu solchen Verbrechen gegen die Juden aufgerufen hat.

Für mich hätte die Christenheit allen Grund, einen Tag zur Erinnerung an die Verbrechen «im Namen der Kirchen» zu begehen. Ein Tag des Schweigens, des Bedauerns, der Reue. Vielleicht wäre einer der letzten Sonntage im Kirchenjahr dazu geeignet? Der Vorletzte zum Beispiel heisst: «Sonntag vom jüngsten Gericht».

Aber auch in der Schweiz gibt es mit dem 9. November allen Grund zu einem traurigen Gedenken: Am 9. November 1918 gab es einen Generalstreik, der mit militärischer Gewalt aufgelöst wurde. Einige der Forderungen wurden erfüllt. An einer – der AHV – erfreuen sich alle im Rentenalter.

Demonstration gegen Faschismus in Genf

Was ich erst beim Nachforschen zum 9. November herausfand: 14 Jahre später, am 9. November 1932 fand in Genf eine Demonstration gegen den Faschismus statt. Auch diese wurde von der Armee gewaltsam aufgelöst. 13 Menschen starben, 65 wurden verletzt. Es wäre daran zu denken, wenn wir lesen, wie neonazistische Treffen hier und da in unserem Land stattfinden.

Oder wenn das Verbrechen gegen die Menschlichkeit – egal von welcher Seite – verharmlost wird.

Aber zum Glück gibt es am 11. November den Martinstag und an dem Tag beginnt auch die närrische Zeit.


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