19.05.2019

Wäscha, butza, flicka, koacha

Die Mundartserie, die wir in loser Folge publizieren, setzt sich mit dem Sprachwandel auseinander. Als Beispiel dient die Oberrieter Mundart.

Von Christoph Mattle
aktualisiert am 03.11.2022
Christoph MattleVon Zeit zu Zeit blättere ich gern alte Lesebücher durch. Ich habe eine ganze Reihe solcher aus der Zeit, da ich in die Primarschule in Oberriet ging. Schaue ich mir damalige Lesetexte und die Bilder dazu an, kommen zuerst die schönen Erinnerungen an eine unbeschwerte Schulzeit. Vieles ist heute nicht mehr wie damals in den Fünfziger- oder Sechzigerjahren, als diese Lesebücher in Gebrauch waren. Da fällt auf, dass Texte und Zeichnungen noch nichts über die Gleichstellung der Geschlechter wissen. In der Regel ist eine erwachsene Frau im Haushalt beschäftigt, der Mann im Beruf. Alles, was über die Gesellschaft vermittelt wird, ist bäuerlich geprägt. Der heute bedeutende Wirtschaftssektor der Dienstleistungen existiert nicht. Es kommt in allen Lesebüchern kein Büroangestellter oder eine Pflegefachperson vor. Ebenso findet sich keine Frau, die ausser Haus arbeitet. Die Frau kocht, näht, strickt, betreut die Kinder, sorgt sich eben mütterlich um die Familie, im Haus und auf dem Hof. Das Leben in einem Wohnblock kommt nicht vor. Die Lesebücher von damals bilden ein interessantes Zeitdokument.Die Welt von damalsDamals galten klare Hierarchien und Autoritäten: die Eltern, der Lehrer oder die Lehrerin, da Pfarr, da Kaploa, da Toktr, da Gmoandamma oder di Riichara im Dorf hatten das Sagen.Die Erziehung und die Schule waren autoritär. Für uns Kinder war das nicht weiter schlimm. Wir kannten ja nichts anderes. Ich selber überstand jene Zeit problemlos. Das dürfte der Grund sein, dass die Texte und Bilder von damals – mindestens bei mir – ausschliesslich schön-nostalgische Gefühle auslösen. Da will ich deutlich festhalten, dass ich mir eine Rückkehr unserer Gesellschaft in die damalige Zeit nicht wünsche. Heute wissen wir, dass damals viel Negatives und Ungerechtes verdeckt und verschwiegen wurde.In dieser Zeitungsreihe will ich darlegen, wie sich die Mundart in den vergangenen 40 oder 50 Jahren verändert hat. Zu jedem Artikel erscheint ein Bild aus einem Lesebüchlein, das in meiner Schulzeit Verwendung fand.Zum beiliegenden Bild: Der Bub wurde von der Mutter zum Beck geschickt, einen Laib Schwarzbrot zu kaufen. Als der Bub die Batzen aus dem Zipfel hervornehmen wollte, fand er in seinem Hosensack weder Zipfel noch Batzen. Er weint. Der Beck schickt den Bub weg mit dem Befehl: «Gehe schnell und suche!» Junge Leute fragen: Was ist denn ein Zipfel? Ganz einfach: man knüpfte früher die Geldmünzen in das Taschentuch. Damals hatte jedes Kind ein Nastuch im Sack. Die Lehrerin überprüfte das jeden Montag bei allen ihren Schülerinnen und Schülern.Als ich zur Schule ging, hatte ich Mitleid mit diesem Buben auf dem Bild. Der Beck zeigte sich autoritär. Und nicht nur er. Ich hatte als Bub manchmal Angst vor den Läden, wo man als Kind mitunter autoritär und von oben herab behandelt wurde. Es gab aber auch Läden, wo man noch Adieu oder auf Oberiednerisch Adiia sagte. Oder: Komm bald widar. Oder verkürzt: Bald widar.A schwazas LöabliMan sagte beim Beck: «I hett gäann an schwaza Wegga.» Der Wegga war lang und ein Kilo schwer. Wollte man ein rundes Brot, hiess das ganz einfach a Löabli oder a Bröatli. Heute versteht man unter Bröatli eher ein Kleingebäck. Der Bub auf dem Bild trägt a Schoass. Das war damals keine Ausnahme, immerhin alle – aber gar alle – Moatla trugen damals a Schoass. Heute wissen junge Leute kaum noch, was a Schoass ist. Immer häufiger sagt man a Schürze. Jede Hausfrau trug damals den ganzen Tag a Schoass. Oder einen Kasak. Das war eine Art Pruafsschoass. So wie der Beck seine Pruafsschoass trägt. Das Wort Huusfrou gab es nicht, weil jede Frau Hausfrau war.Auf der Zeichnung raucht der Beck eine Zigarre; heute in einem Schualbüachli unvorstellbar! Damals war das an Stumpa und keine Zigarre. An Stumpa kaufte man auch beim Metzger, aber einen zum Essen.Der Bub ging ohne Täscha zum Beck. Einen Plastiksack hatte er damals nicht, um den Wegga nach Hause zu tragen. Er hätte das Brot einfach unter den Arm geklemmt. Vielleicht hätte der Beck das Brot in ein Sidapapier gewickelt.Kürzlich sagte die Verkäuferin im Laden zu mir: «Tüüte?» Es ging ein paar Sekunden, bis ich verstand. Sie wollte mich fragen, ob ich einen Sack begehre, um den Einkauf zu transportieren. Tüüte ist ein neues Wort, das aus Deutschland in unsere Mundart kommt. Das Wort Sack ist am Verschwinden. Man sagt heute häufig a Taschamäassar und nicht mehr Sackmäassar, Taschegäld und immer weniger Sack- gäald. In einer Zeit, da fast jedermann Jeans trägt, ist es schwierig, von einem Hosensack zu reden. Die engen Spaltöffnungen an diesen Dingern müssen ja nur noch für das Einschieben der Kreditkarte und des Händis reichen.

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