Gert BrudererAn den Neujahrsbegrüssungen der Parteien wurde dieses Jahr gleich mehrfach deutlich, dass Zurückhaltung ziemlich verbreitet ist. In persönlichen Gesprächen tönte es so: Als Unternehmer oder Chef mit politischen Meinungen hervorzustechen, kann dem Geschäft schaden. Schlecht fände man vor allem eine falsche Deutung.Wer Wirtschaftsanliegen vertritt, ist nicht unbedingt wild darauf, auf einem Foto von SP-Exponenten umringt zu sein. Oder von SVP-Kräften, die permanent mit starken Worten auf EU und Bundesrat eindreschen.Instrumentalisierung vermeidenWirtschaftsleute sind entsprechend auf der Hut. Genauso Kaderleute der Verwaltung. Grenzwachtkommandant Markus Kobler, der im Januar die SP Rheintal zu Besuch hatte, wäre nicht für ein Foto mit Politikern hingestanden. Die Order aus Bern lautet klar: Grenzwachtkorps dürfen nicht von politischen Organisationen und Vereinen instrumentalisiert werden.Das gleiche Wort benützt Reto Eicher, CEO der Firma SwissQprint, die vor gut einem Jahr mit dem Preis der Rheintaler Wirtschaft ausgezeichnet wurde. Als Mitte Januar die SVP Rheintal auf der Kriessner Schützenwiese zu Gast war, um hier die Firmen Menzi Muck und SwissQprint zu besichtigen, sah der parteilose Eicher davon ab, für ein Bild in der Zeitung mit SVP-Politikern zu posieren.Er sei stets offen und gesprächsbereit, kenne keine Berührungsängste und habe Kollegen, die politisch ein breites Spektrum abdecken, sagt er. Ihm sei aber wichtig, sich nicht vereinnahmen zu lassen und in der Öffentlichkeit keinen falschen Eindruck zu erwecken. Als lösungsorientierter Mensch halte er von populistischem Auftreten und kontraproduktiven politischen Vorstössen wenig.Anders als bei der SVP-Neujahrsbegrüssung waren die (politischen) Vorzeichen beim gleichen Anlass der FDP Rheintal. Sie war bei der Altstätter Metallbaufirma Wüst und deren Schwesterfirma Fairtec zu Besuch. Walter Wüst, ein SVP-Mitglied, sagt, er sei klar bürgerlich und stehe, obschon SVP-Mitglied, der FDP sehr nahe. Werde er in einer bestimmten Sache nach seiner Meinung gefragt, so sage er sie immer gern, doch in der Öffentlichkeit sei es schon so: Man könne sich nur die Finger verbrennen.Nicht als SVPler zu gelten, «kann ein Vorteil sein»SVP-Nationalrat Roland Rino Büchel sagt denn auch: «Lange Zeit war es nicht leicht, Wirtschaftsleute als Parteimitglieder zu gewinnen.» Leuchtende Beispiele wie Peter Spuhler, der Stadler-Rail-Unternehmer und früher langjährige SVP-Nationalrat, sind selten. Selbstkritisch fügt Roland Büchel hinzu: Womöglich «bemüht die SVP sich zu wenig, im Rheintal als Wirtschaftspartei wahrgenommen zu werden» – und dies, obschon man sich auch hier für tiefe Steuern und einen schlanken Staat einsetze. Aber für einen Garagisten oder einen selbstständigen Maurer könne es von Vorteil sein, nach aussen nicht als SVPler dazustehen. Ein Indiz für die Richtigkeit dieser Feststellung sind die Ergebnisse bei Regierungswahlen sowohl in den Gemeinden als auch auf Kantonsebene; die SVP tut sich da immer noch schwer.Brigitte Lüchinger, die Präsidentin des Arbeitgeberverbandes im Rheintal, erlebt die Vorsicht von Wirtschaftsvertretern auch immer wieder. Sie versteht sie auch, denn niemand laufe gern Gefahr, zum Beispiel in der Zeitung auf einem Bild zu erscheinen, das eine falsche Deutung zulasse.Anderseits bedauert die AGV-Präsidentin, dass die Bereitschaft, hinzustehen und öffentlich eine klare Meinung kundzutun, bedeutend weniger verbreitet sei als früher. Ein aktuelles Beispiel sei die Initiative «No Billag». Brigitte Lüchinger «würde es begrüssen, wenn wieder öfter offen eine klare Haltung zum Ausdruck gebracht würde.«Es sollte immer um die Sache gehen»Brigitte Lüchinger selbst macht dies «wann immer möglich». Im Moment allerdings gebiete ihr das besondere Amt eine gewisse Zurückhaltung. Als AGV-Präsidentin habe sie natürlich die Verbandsanliegen zu vertreten. Generell findet sie: «Es sollte immer um die Sache gehen, nicht um die Gesinnung.»Dass überdies mehr Wirtschaftsleute sich politisch betätigen, ist ein alter Wunsch.Ein frommer.Bisher scheiterten im Rheintal die Bemühungen, mehr Wirtschaftskräfte für politisches Wirken zu gewinnen. Das hat freilich auch einen ganz praktischen, einfachen Grund: Der Einsatz für die Politik braucht Zeit, und diese haben Wirtschaftskräfte eher nicht.Der St. Galler Regierungspräsident Fredy Fässler brachte die vom AGV durchaus als Problem empfundene Realität am diesjährigen Rheintaler Wirtschaftsforum perfekt auf den Punkt. Er nannte «Wirtschaftsleute in der Politik beinahe schon eine species rara».Eine aussterbende Art.