08.07.2020

Vorderländer Gemeinden knausern bei Kitas

Rehetobel prüft, ob Bedarf an einer eigenen Kindertagesstätte besteht. Andere Vorderländer Kitas kämpfen derweil mit Finanzproblemen.

Von Claudio Weder
aktualisiert am 03.11.2022
In Appenzell Ausserrhoden ist das Angebot an ganztägiger Kinderbetreuung in der Vergangenheit gewachsen. 268 Betreuungsplätze gibt es im Kanton. Doch längst nicht jede Gemeinde verfügt auch über eine eigene Kindertagesstätte (Kita). Am geringsten ist die Dichte derweil im Appenzeller Vorderland: Auf acht Gemeinden gibt es drei Kita-Standorte – namentlich in Heiden, Grub und Wolfhalden. In Zukunft könnte vielleicht auch Rehetobel als Standort in Frage kommen: Studierende der Fachhochschule St. Gallen führen zurzeit eine Studie im Auftrag der Gemeinde durch. Deren Ziel ist es, «eine Bedarfsabklärung für eine allfällige Kita und ein Betreuungsangebot während der Ferien in der Gemeinde» zu erarbeiten, wie es in einer Mitteilung heisst. Noch bis zum 15. Juli kann der Fragebogen online von jeder interessierten Person der Gemeinde ausgefüllt werden, den Bewohnerinnen und Bewohnern mit Jahrgang 1975–2000 wurde der Fragebogen in Briefformat nach Hause geschickt. «Wir wollen uns als eine familienfreundliche Gemeinde positionieren, in der Berufs- und Familienleben gut miteinander kombiniert werden können», sagt der zuständige Gemeinderat und Schulpräsident Remo Kästli. Eine dorfeigene Kita sieht er als Standortvorteil. Den ersten Rückmeldungen zufolge sei das Interesse von Seiten der Rehetobler Bevölkerung da, sagt Kästli. Dennoch sei das Projekt vorerst nichts weiter als eine Vision. Erst nach der Datenauswertung – die Ergebnisse sollen Ende August vorliegen – werde das weitere Vorgehen bestimmt. Gemäss Kästli wäre in Zukunft auch eine Zusammenarbeit mit einer anderen Kindertagesstätte im Appenzeller Vorderland denkbar.Doch braucht es im Vorderland eine weitere Kita? Anne Zesiger Hotz ist Präsidentin des 2004 gegründeten Vereins Kita Wirbelwind, der eine Tagesstätte an zwei Standorten betreibt, einen in Heiden, den anderen in Wolfhalden. Für Zesiger, die in Rehetobel wohnt, ist das Kita-Angebot im Vorderland ausreichend: «Eine neue Kita in Rehetobel wäre wenig sinnvoll.» Und weiter: «Damit eine solche kostendeckend betrieben werden könnte, müssten mindestens 12–15 Kinder pro Tag betreut werden können.» Dass die Nachfrage in der Gemeinde Rehetobel tatsächlich so gross ist, bezweifelt Zesiger. Zudem würden an die Räumlichkeiten einer Kita hohe Anforderungen gestellt, was für die Gemeinde wiederum mit hohen Kosten verbunden wäre. «Eine Kindertagesstätte in Rehetobel würde nicht rentieren.»Nicht jede Gemeinde zahlt Unterstützungsbeiträge Es sei eine ständige Herausforderung, eine Kita kostendeckend zu führen, sagt Zesiger. «Aufgrund der Fluktuation der zu betreuenden Kinder ist die finanzielle Planung für die meisten schwierig.» Der grösste Kostenpunkt sei das ausgebildete Personal. «Mitarbeitende kann man nicht kurzfristig anstellen und wieder entlassen», sagt Zesiger. Der Vorstand der Kita Wirbelwind bemüht sich deshalb seit Jahren um regelmässige Unterstützung durch die Gemeinden.Bislang jedoch nur mit mässigem Erfolg. Mit den Gemeinden Heiden, Lutzenberg und Reute konnten gemäss Zesiger Leistungsvereinbarungen abgeschlossen werden. «Dadurch profitieren Eltern aus diesen Gemeinden von Sozialtarifen, allen andern muss der Vollkostenbetrag in Rechnung gestellt werden.»Am spendabelsten zeigt sich Heiden. Die Gemeinde unterstützt die Kita Wirbelwind mit jährlich bis zu 110000 Franken. In Reute wurde ein Kostendach von jährlich 13000 Franken festgelegt. Anders sieht es in Rehetobel aus: Die Gemeinde hat sich gemäss Zesiger noch nie finanziell an der Kita Wirbelwind beteiligt. Auch Walzenhausen hält sich zurück: «Zurzeit erfolgen keine Unterstützungsbeiträge durch die Gemeinde Walzenhausen an die Kita Wirbelwind», sagt Gemeindepräsident Michael Litscher. Der Gemeinderat prüfe und erarbeite jedoch ein entsprechendes Konzept «Kinderbetreuung» im Rahmen der Strategie Walzenhausen 2035 und unter Berücksichtigung des Regierungsprogrammes.Die Zusammenarbeit zwischen der Kita Wirbelwind und der Gemeinde Wolfhalden harzte bis zuletzt: Im Jahr 2017 musste der Verein die Leistungsvereinbarung mit der Vorderländer Gemeinde kündigen, weil der Gemeinderat die mit den andern Gemeinden vereinbarte Tarifliste nicht mehr akzeptieren, sondern eine eigene Tarifliste führen wollte. Laut Gemeindepräsident Gino Pauletti wird Wolfhalden in Zukunft die Kita Wirbelwind wieder unterstützen.Der Entscheid des Gemeinderates, in welcher Form und Höhe dieser Beitrag ausfallen wird, lag bis Redaktionsschluss allerdings noch nicht vor.  Letztlich seien die Kitas aber auch auf die finanzielle Unterstützung des Kantons angewiesen, sagt Anne Zesiger. Die Vereinsarbeit basiert oft auf Freiwilligenarbeit, Träger von Kitas sind meist Vereine, die Vorstandsmitglieder leisten ihre Arbeit ehrenamtlich. «Ob das in Zukunft so weitergehen kann, ist fraglich.» Es werde immer schwieriger, Leute für ehrenamtliche Tätigkeiten zu finden. Gleichzeitig jedoch steige die Nachfrage nach familienexterner Kinderbetreuung – auch in ländlichen Regionen wie dem Appenzellerland.Kinderbetreuungsgesetz soll Abhilfe schaffen Laut Regierungsrat Yves Noël Balmer, Vorsteher des Departements Gesundheit und Soziales, gibt es in Ausserrhoden bezüglich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf noch Luft nach oben. So hält die Ausserrhoder Regierung im Regierungsprogramm 2020–2023 denn auch fest, dass sie in Zukunft den Ausbau von erwerbskompatiblen Tagesstrukturen fördern will. Was das Angebot an Kindertagesstätten im Kanton betrifft, sieht Balmer jedoch keinen Nachholbedarf.In Ausserrhoden gibt es 13 Kita-Standorte, verteilt auf 11 Gemeinden (siehe Karte). «Aktuell haben wir genügend Betreuungsplätze im Kanton», hält Balmer fest. Und weiter: «Es ist nicht zwingend notwendig, dass jede Gemeinde über eine eigene Kita verfügt. Viel wichtiger ist es, dass das Angebot flächendeckend ist.» Und schliesslich macht auch Balmer auf das Problem der Finanzierung von Kindertagesstätten aufmerksam. «Nach wie vor herrscht ein grosses Ungleichgewicht: Manche Gemeinden zahlen Unterstützungsbeiträge an ihre Kitas, andere hingegen nicht.» Diesem Problem soll in Zukunft das angedachte kantonale Kinderbetreuungsgesetz Abhilfe schaffen, das gemäss Balmer die gemeinsame Finanzierung zwischen Gemeinden und Kanton regeln soll. 

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